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Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Titel: Brunetti 03 - Venezianische Scharade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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dem ablenkte, was er in der Nacht gesehen hatte, und von dem, was er allmählich befürchtete, in Crespos Wohnung zu sehen.
    Wie beim letzten Mal lief im Fahrstuhl die Klimaanlage, was selbst um diese Tageszeit schon nötig war. Er drückte auf den Knopf und wurde schnell und lautlos in den siebten Stock befördert. Er klingelte an Crespos Tür, aber diesmal war von drinnen kein Laut zu hören. Er klingelte wieder, und dann noch einmal, wobei er den Finger sekundenlang auf den Knopf gedrückt hielt. Keine Schritte, keine Stimmen, kein Lebenszeichen.
    Er zog seine Brieftasche heraus und entnahm ihr ein kleines, dünnes Stück Blech. Vianello hatte einmal einen ganzen Nachmittag damit verbracht, es ihm beizubringen, und obwohl er sich nicht besonders gelehrig angestellt hatte, dauerte es jetzt keine zehn Sekunden, und er hatte Crespos Tür geöffnet. Er trat über die Schwelle und sagte: »Signor Crespo? Ihre Tür ist offen. Sind Sie da?« Vorsicht konnte nie schaden.
    Im Wohnzimmer war niemand. Die Küche glänzte makellos sauber. Er fand Crespo im Schlafzimmer, auf dem Bett, in einem gelben Seidenpyjama. Ein Stück Telefonschnur war um seinen Hals geknotet, sein Gesicht war eine grauenvoll aufgeplusterte Parodie seiner einstigen Schönheit.
    Brunetti machte sich nicht erst die Mühe, sich weiter umzusehen oder das Zimmer zu durchsuchen; er ging zur Wohnung nebenan und klopfte an die Tür, bis ein verschlafener Mann öffnete und seinem Arger Luft machte. Während er auf die Spurensicherung von der Questura in Mestre wartete, hatte Brunetti genug Zeit, Franco Nardi in Mailand anzurufen und ihm mitzuteilen, was geschehen war. Im Gegensatz zu dem Mann an der Tür sagte Franco Nardi keinen Ton; Brunetti hatte keine Ahnung, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war.
    Später, in der Questura in Mestre, informierte Brunetti Sergente Gallo, der gerade eingetroffen war, übergab ihm die weitere Untersuchung von Crespos Wohnung und Leiche und erklärte, gleich wieder nach Venedig zurückfahren zu müssen. Er sagte Gallo nicht, daß er zurückmußte, um an Mascaris Beerdigung teilzunehmen; die Luft war schon zu sehr erfüllt von Tod und Sterben.
    Obwohl er vom Ort eines gewaltsamen Todes zurückkehrte, und das auch nur, um der Folge eines anderen gewaltsamen Todes beizuwohnen, konnte er nicht verhindern, daß sein Herz höher schlug beim Anblick der Glockentürme und pastellfarbenen Fassaden, die vor ihm auftauchten, als das Polizeiauto über die Brücke führ. Schönheit änderte nichts, das wußte er, und vielleicht war der Trost, den sie spendete, nur eine Illusion, aber dennoch begrüßte er diese Illusion.
    Die Beerdigung war eine jämmerliche Angelegenheit; leere Worte wurden von Menschen gesprochen, die offensichtlich zu schockiert waren über die Umstände von Mascaris Tod, um auch nur vorzugeben, daß sie meinten, was sie sagten. Die Witwe ließ hoch aufgerichtet und trockenen Auges alles über sich ergehen und verließ die Kirche unmittelbar hinter dem Sarg, still und allein.
    Die Zeitungen verfolgten, wie nicht anders zu erwarten, kläffend die Fährte von Crespos Tod. Der erste Beitrag erschien in der Abendausgabe von La Notte, einem Blatt, das sich roten Schlagzeilen und dem Gebrauch des Präsens verschrieben hatte. Francesco Crespo wurde als »una cortigiana travestita« beschrieben. Sein Lebenslauf wurde geschildert, wobei man besondere Aufmerksamkeit dem Umstand widmete, daß er als Tänzer in einer Schwulendisco in Vicenza gearbeitet hatte, auch wenn dieses Arbeitsverhältnis keine Woche gedauert hatte. Der Autor des Artikels stellte den unvermeidbaren Zusammenhang mit dem Mord an Leonardo Mascari eine Woche davor her und meinte, die Ähnlichkeit der Opfer deute auf einen Täter hin, der tödliche Rachegelüste gegen Transvestiten hege. Der Verfasser hielt es offenbar nicht für nötig zu erklären, warum.
    Die Morgenzeitungen griffen den Gedanken auf. Il Gazzettino verwies auf mehr als zehn Prostituierte, die in den vergangenen Jahren allein in der Provinz Pordenone umgebracht worden waren, und versuchte, zwischen diesen Verbrechen und den Morden an den beiden Transvestiten eine Verbindung herzustellen. II Manifeste widmete dem Verbrechen zwei ganze Spalten auf Seite vier, wobei der Autor die Gelegenheit benutzte, Crespo als »wieder einen von diesen Parasiten am faulenden Körper der bourgeoisen italienischen Gesellschaft« zu bezeichnen.
    In seiner oberlehrerhaften Abhandlung des Verbrechens kam Il

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