Brunetti 03 - Venezianische Scharade
verpflichtete, sich an ihrem Wohnort anzumelden und jeden Wohnungswechsel anzugeben, ein Überbleibsel aus der Vergangenheit war, konnte man dadurch immerhin die Bewegungen und Lebensumstände eines jeden, der die Aufmerksamkeit der Polizei erregte, leicht verfolgen.
»Ich möchte, daß Sie bei den Leuten auf dieser Liste überprüfen, ob einer vorbestraft ist, hier oder in einer anderen Stadt. Auch in anderen Ländern, obwohl ich keine Ahnung habe, inwieweit sich da etwas finden läßt.« Signorina Elettra nickte beim Schreiben, als wäre das alles ein Kinderspiel. »Außerdem«, fuhr Brunetti fort, »möchte ich Sie bitten, sobald Vianello festgestellt hat, wer alles seine Miete unter dem Tisch bezahlt, dasselbe dann auch bei denen zu prüfen.« Wenige Sekunden, nachdem er geendet hatte, sah sie auf. »Glauben Sie, daß Sie das können, Signorina? Ich habe keine Ahnung, was mit den alten Unterlagen passiert ist, nachdem wir auf Computer umgestiegen sind.«
»Die meisten liegen noch unten«, sagte sie. »Es ist ein ziemliches Chaos, aber es läßt sich immer noch manches finden.«
»Werden Sie es schaffen?« Sie war noch keine zwei Wochen hier, und schon kam es Brunetti vor, als wären es Jahre.
»Natürlich. Mir bleibt ziemlich viel freie Zeit«, sagte sie und öffnete Brunetti damit die Tür so weit, daß er eine Schafherde hätte hindurchtreiben können.
Er ließ sich darauf ein und fragte: »Was tut sich denn?«
»Sie essen heute gemeinsam zu Abend. In Mailand. Er läßt sich heute nachmittag hinfahren.«
»Was glauben Sie, was geschieht?« fragte Brunetti, wohl wissend, daß er das nicht tun sollte.
»Sobald Burrasca festgenommen ist, sitzt sie im ersten Flugzeug. Oder vielleicht bietet er ihr auch an, sie nach dem Essen zu Burrascas Wohnung zurückzufahren - das würde ihm, glaube ich, Spaß machen, mit ihr dort anzukommen, wenn die Wagen von der Steuerfahndung vor der Tür stehen. Wahrscheinlich fährt sie gleich mit ihm nach Hause, wenn sie die sieht.«
»Warum will er sie zurückhaben?« fragte Brunetti endlich.
Signorina Elettra sah kurz zu ihm auf, überrascht von seiner Begriffsstutzigkeit. »Er liebt sie, Commissario. Das müssen Sie doch gemerkt haben.«
23
N ormalerweise raubte die Hitze Brunetti jeden Appetit, aber heute abend war er zum erstenmal seit seinem Essen mit Padovani wieder richtig hungrig. Auf dem Heimweg machte er am Rialto halt, erstaunt, daß einige der Obst- und Gemüsestände nach acht Uhr noch offen hatten. Er erstand ein Kilo Tomaten, die so reif waren, daß der Verkäufer ihm riet, sie vorsichtig zu tragen und nichts daraufzulegen. An einem anderen Stand kaufte er ein Kilo dunkle Feigen und erhielt denselben Rat. Glücklicherweise hatte er zu jeder Ermahnung eine Plastiktüte bekommen, und so kam er mit einer Tüte in jeder Hand nach Hause.
In der Wohnung öffnete er alle Fenster, zog eine leichte Baumwollhose und ein T-Shirt an und ging in die Küche. Er schnitt Zwiebeln, legte die Tomaten kurz in kochendes Wasser, um sie besser schälen zu können, und pflückte sich draußen auf der Dachterrasse ein paar Blättchen frisches Basilikum ab. Automatisch, ohne recht darauf zu achten, was er tat, bereitete er eine einfache Soße zu und stellte anschließend Wasser für die pasta auf. Als das gesalzene Wasser zu brodeln begann, schüttete er eine halbe Packung penne rigate hinein und rührte um.
Während er alle diese Handgriffe machte, dachte er die ganze Zeit an die verschiedenen Menschen, die in die Ereignisse der letzten zehn Tage verwickelt waren, wobei er gar nicht erst versuchte, eine Ordnung in das Durcheinander aus Namen und Gesichtern zu bringen. Als die pasta fertig war, schüttete er sie zuerst in ein Sieb, anschließend in eine Schüssel und goß die Soße darüber. Mit einem großen Löffel rührte er um und nahm alles mit hinaus auf die Terrasse, wohin er schon eine Gabel, ein Glas und eine Flasche Cabernet getragen hatte. Er aß aus der Schüssel. Ihre Terrasse lag so hoch, daß man schon in den Glockenturm von San Polo hätte steigen müssen, um zu sehen, was er trieb. Er aß alles und stippte die restliche Soße mit Brot auf; dann trug er die Schüssel nach drinnen und kam mit einem Teller frisch gewaschener Feigen wieder heraus.
Bevor er sich darüber hermachte, ging er noch einmal hinein und holte sich sein Exemplar von Tacitus' Annalen. Brunetti las da weiter, wo er aufgehört hatte, bei einer Beschreibung der zahllosen Schrecken unter der
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