Brunetti 04 - Vendetta
oder?«
»Ja, Claudio, aber der ist in der Schweiz in einem Internat. Darum habe ich mit der Lehrerin geredet. Sie hat früher an der Mittelschule unterrichtet, in der er war, bevor er in die Schweiz ging. Ich dachte, ich könnte sie irgendwie dazu bringen, mir etwas von ihm zu erzählen.«
»Und, hast du sie dazu gebracht?«
»Klar. Ich habe gesagt, daß ich Francescas beste Freundin bin und Francesca sich Sorgen um Claudio macht, wie er das mit dem Tod seines Vaters aufnimmt, dort in der Schweiz, und überhaupt. Ich habe gesagt, daß ich ihn auch kenne, und sogar durchblicken lassen, daß ich in ihn verknallt sei.« Hier hielt sie inne und schüttelte den Kopf.
»Pfui Spinne. Jeder, absolut jeder sagt, daß Claudio ein echtes Ekel ist, aber sie hat es mir geglaubt.«
»Was hast du sie denn gefragt?«
»Ich habe gesagt, Francesca möchte wissen, ob die Lehrerin einen Rat geben könnte, wie sie mit Claudio umgehen soll.« Als sie Brunettis erstaunte Miene sah, erklärte Chiara: »Ja, ich weiß, daß es blöde klingt, und niemand würde so was fragen, aber du weißt doch, wie Lehrer sind, die wollen dir immer sagen, was du mit deinem Leben anfangen und wie du dich verhalten sollst.«
»Hat die Lehrerin dir das abgenommen?«
»Natürlich«, antwortete Chiara ernsthaft.
»Du mußt ja eine gute Lügnerin sein«, sagte Brunetti halb im Scherz.
»Bin ich auch. Eine sehr gute sogar. Mamma war immer der Meinung, so etwas muß man gut können.« Sie sah Brunetti dabei gar nicht erst an und fuhr gleich fort: »Die Lehrerin hat gesagt, Francesca soll der Tatsache eingedenk sein - das waren ihre Worte: ›eingedenk sein‹, daß Claudio seinen Vater immer lieber gehabt hat als seine Mutter und daß es darum eine schwere Zeit für ihn ist.« Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Toll, was? Da bin ich durch die halbe Stadt getigert, um das zu hören. Und es hat eine halbe Stunde gedauert, bis sie damit herauskam.«
»Was haben die anderen gesagt?«
»Luciana sagt - ich mußte bis nach Castello, um sie zu treffen -, daß Francesca ihre Mutter richtig haßt, weil sie ihren Vater immer so rumschubst, ihm dauernd sagt, was er tun soll. Den Onkel kann sie auch nicht besonders gut leiden. Sie sagt, er hält sich für den Chef der Familie.«
»Inwiefern hat sie ihn rumgeschubst?«
»Das wußte Luciana auch nicht. Aber Francesca hat es ihr so erzählt, daß ihr Vater immer gemacht hat, was ihre Mutter wollte.« Bevor Brunetti das ins Scherzhafte ziehen konnte, fügte Chiara hinzu: »Nicht so wie bei dir und mamma. Sie sagt dir zwar immer, was du tun sollst, aber du bist dann meist derselben Meinung wie sie und machst sowieso, was du willst.« Sie warf einen Blick auf die Wanduhr und fragte: »Was meinst du, wo mamma ist? Es ist fast sieben. Was essen wir denn zu Abend?« Wobei die zweite Frage eindeutig die war, die Chiara am meisten beschäftigte.
»Wahrscheinlich ist sie an der Uni aufgehalten worden, weil sie einem Studenten sagen mußte, was er mit seinem Leben anfangen soll.« Und bevor Chiara entscheiden konnte, ob sie darüber lachen sollte oder nicht, meinte Brunetti: »Wenn das jetzt alles war, was du mir über deine Detektivarbeit zu berichten hast, können wir ja schon anfangen, das Essen zu machen. Dann ist es zur Abwechslung mal fertig, wenn mamma nach Hause kommt.«
»Aber wieviel ist das denn nun wert?« schmeichelte Chiara.
Brunetti überlegte. »Dreißigtausend, denke ich«, sagte er schließlich. Da er es aus seiner eigenen Tasche bezahlen mußte, gedachte er nicht mehr zu investieren, obwohl die Information, daß Signora Trevisan ihren Mann herumgeschubst hatte, sollte sie sich als zutreffend erweisen und sich auch auf sein Berufsleben beziehen, möglicherweise von unschätzbarem Wert war.
11
Am nächsten Tag meldete der Gazzettino auf der Titelseite den Selbstmord Rino Faveros, eines der erfolgreichsten Steuerberater im Veneto. Favero, hieß es, habe seinen Rover in die Doppelgarage unter seinem Haus gefahren, das Garagentor geschlossen und sich bei laufendem Motor ganz friedlich auf die Vordersitze seines Wagens gelegt. Es hieß ferner, Faveros Name solle demnächst in Verbindung mit dem sich ausweitenden Skandal gebracht werden, der zur Zeit durch die Gänge des Gesundheitsministeriums tobe. Es war zwar inzwischen in ganz Italien bekannt, daß dem früheren Gesundheitsminister vorgeworfen wurde, er habe von diversen Pharmaunternehmen horrende Bestechungssummen eingesackt und es ihnen im
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