Brunetti 04 - Vendetta
Haus einbrach, ins Gefängnis zu stecken, wenn der Mann, der Milliarden aus dem Gesundheitssystem abzweigte, zum Botschafter des Landes ernannt wurde, in das er die Gelder seit Jahren transferierte? Und was war das für eine Gerechtigkeit, die den Mann mit Strafe bedrohte, der die Gebühren für sein Autoradio nicht bezahlt hatte, wenn der Hersteller desselben Autos offen zugeben konnte, daß er Milliarden Lire an Gewerkschaftsführer gezahlt hatte, damit sie verhinderten, daß ihre Mitglieder Lohnerhöhungen verlangten, dies zugeben konnte und auf freiem Fuß blieb? Warum jemanden wegen Mordes verhaften, oder warum Trevisans Mörder suchen, wenn der Mann, der jahrzehntelang der höchste Politiker des Landes gewesen war, unter der Anklage stand, die Morde an den wenigen ehrlichen Staatsanwälten befohlen zu haben, die den Mut hatten, gegen die Mafia zu ermitteln?
Diese trostlosen Überlegungen wurden durch Chiaras Ankunft unterbrochen. Sie knallte die Wohnungstür zu und kam mit viel Lärm und einem großen Bücherstapel herein. Brunetti sah ihr nach, wie sie in ihr Zimmer ging und gleich darauf ohne die Bücher wieder herauskam.
»Hallo, Engelchen«, rief er. »Möchtest du etwas essen?« Wann mochte sie das eigentlich nicht, fragte er sich.
»Ciao, papà!« rief sie zurück und kam durch den Flur, voll damit beschäftigt, sich ihres Mantels zu entledigen, wobei sie allerdings nur den einen Ärmel ganz nach außen krempelte und mit der Hand darin steckenblieb. Unter Brunettis Blicken befreite sie ihre andere Hand und zerrte damit an dem widerspenstigen Ärmel. Er schaute weg, und als er wieder hinsah, lag der Mantel zusammengeknäuelt auf dem Boden, und Chiara bückte sich gerade, um ihn aufzuheben.
Sie kam in die Küche und hielt ihm die Wange hin, damit er den erwarteten Kuß darauf drückte.
Dann ging sie zum Kühlschrank, öffnete ihn, bückte sich, um hineinzuschauen, und holte von ganz hinten ein in Papier gewickeltes Stück Käse heraus. Sie richtete sich auf, nahm ein Messer aus der Schublade und schnitt sich eine dicke Scheibe ab.
»Brot?« fragte er, wobei er eine Tüte mit Brötchen vom Kühlschrank nahm. Chiara nickte, und sie machten einen Tauschhandel: Er bekam für zwei Brötchen ein großes Stück von dem Käse.
»Papà«, begann sie, »was verdient ein Polizist eigentlich in der Stunde?«
»Ich weiß es nicht genau, Chiara. Polizisten bekommen ein Gehalt, aber manchmal müssen sie in der Woche mehr Stunden arbeiten als jemand, der in einem Büro beschäftigt ist.«
»Du meinst, wenn viele Verbrechen passieren oder wenn sie einen verfolgen müssen?«
»Sì. « Er nickte zum Käse hin, und sie schnitt ihm noch ein Stück ab, das sie ihm schweigend überreichte.
»Oder wenn sie Leute verhören müssen, Verdächtige und so was?« fragte sie, sichtlich entschlossen, nicht lockerzulassen.
»Sì«, wiederholte er, gespannt, worauf sie hinauswollte.
Sie steckte den Rest ihres zweiten Brötchens in den Mund und griff in die Tüte, um sich noch eins zu nehmen.
»Mamma bringt dich um, wenn du das ganze Brot wegißt«, sagte er, eine Drohung, die durch jahrelange Wiederholung fast wie eine Liebenswürdigkeit klang.
»Aber was denkst du, wieviel dabei pro Stunde herauskommt, papà?« fragte sie, während sie, ohne auf seinen Einwurf einzugehen, das Brötchen aufschnitt.
Er beschloß, eine Zahl zu erfinden, denn egal, welche Summe er nannte, am Ende würde sie ihn darum bitten. »Ich würde sagen, nicht mehr als höchstens 20.000 Lire die Stunde.« Und da er wußte, daß die Frage von ihm erwartet wurde, fragte er: »Warum?«
»Na ja, ich wußte doch, daß du daran interessiert bist, etwas über Francescas Vater zu erfahren, da habe ich heute mal ein bißchen herumgefragt, und weil ich damit der Polizei die Arbeit abnehme, dachte ich, sie könnte mich für meine Zeit eigentlich bezahlen.« Brunetti hatte nichts gegen Venedigs tausendjährige Kaufmannstradition, solange er bei seinen eigenen Kindern keine Anzeichen von Käuflichkeit entdeckte.
Er antwortete nicht, so daß Chiara gezwungen war, ihr Kauen einzustellen und ihn anzusehen. »Na, was hältst du davon?«
Er überlegte ein Weilchen, dann antwortete er: »Ich finde, es hängt davon ab, was du herausgefunden hast, Chiara. Wir zahlen dir ja kein Gehalt - egal was du tust -, wie wir es bei unseren Polizisten machen. Du wärst so eine Art Privatunternehmer, der freiberuflich für uns tätig ist, und wir würden dich nach dem Wert dessen
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