Brunetti 04 - Vendetta
gelbes Kleid trug.«
»Wie haben sie sich benommen?« fragte della Corte.
»Benommen? Meinen Sie ihre Manieren?«
»Nein, ich meine, wie sie sich zueinander verhalten haben.«
»Ah, Sie meinen, ob sie etwas miteinander hatten?«
»Ja«, sagte della Corte kopfnickend.
»Das glaube ich nicht«, antwortete der Mann, während er über die Frage nachzudenken schien. Nach kurzer Pause fuhr er fort: »Sie waren aber eindeutig nicht miteinander verheiratet.« Und bevor della Corte nachfragen konnte, erklärte er: »Ich weiß nicht, wie ich jetzt darauf komme, aber ich habe über die Jahre Tausende von Paaren beobachtet, und Verheiratete haben eine ganz bestimmte Art, miteinander umzugehen. Ich meine, egal ob ihre Ehe gut oder schlecht ist, selbst wenn sie einander hassen, gehen sie doch immer irgendwie vertraut miteinander um.« Er winkte ab, als ob das ein zu kompliziertes Thema wäre, um es erklären zu können. Brunetti wußte genau, was er meinte, aber auch er hätte das im Leben nicht erklären können.
»Und bei diesen Leuten hatten Sie nicht diesen Eindruck?« fragte Brunetti. Es war das erste Mal, daß er etwas sagte.
Der Kellner schüttelte den Kopf.
»Wissen Sie, worüber sie gesprochen haben?«
»Nein«, antwortete der Kellner, »aber was es auch war, sie schienen beide sehr davon angetan. Einmal hat er ihr während des Essens irgendwelche Papiere gezeigt. Die hat sie sich eine Zeitlang angesehen. Dabei hat sie dann auch ihre Brille aufgesetzt.«
»Haben Sie eine Vorstellung, was das für Papiere waren?« fragte della Corte.
»Nein. Als ich die Pasta brachte, hat sie ihm alle zurückgegeben.«
»Und was hat er damit gemacht?«
»Er muß sie wohl eingesteckt haben. Ich habe es nicht gesehen.«
Brunetti warf della Corte einen Blick zu, aber der schüttelte den Kopf, was hieß, daß bei Favero keine Papiere gefunden worden waren.
»Könnten Sie uns noch etwas genauer beschreiben, wie die Frau aussah?« fragte della Corte.
»Also, wie gesagt, sie war so Mitte Dreißig. Groß, helles Haar, aber nicht ihre Naturfarbe. Der Typ war sie schon, mit diesen hellen Augen und dem hellen Teint, also hat sie vielleicht nur ein bißchen nachgeholfen.«
»Noch etwas?« fragte Brunetti lächelnd, nippte dann aber an seinem Calvados, um anzudeuten, daß die Frage nicht sonderlich wichtig war.
»Also, nachdem ich jetzt weiß, daß der Mann tot ist, und das von eigener Hand, bin ich nicht mehr sicher, ob es mir seinerzeit aufgefallen ist oder ob ich das erst gedacht habe, als ich erfuhr, was aus ihm geworden ist...« Weder Brunetti noch della Corte stellte eine Zwischenfrage. »Na ja, irgend etwas stimmte nicht zwischen den beiden.« Er streckte die Hand aus und wischte ein paar Krümel vom Tisch, fing sie mit der anderen Hand auf und ließ sie, als er nichts sah, wohin er sie tun konnte, in seine Jackentasche gleiten.
Da die beiden Polizisten weiter schwiegen, fuhr er fort, sprach aber jetzt langsam, überlegte sich zum erstenmal, was er sagte. »Es war irgendwann während des Essens, als sie sich diese Papiere ansah. Da hat sie einmal aufgesehen und ihm so einen Blick zugeworfen.«
»Was für einen Blick«, fragte della Corte nach einer langen Pause.
»Ach, ich weiß nicht. Er war nicht böse oder so. Sie hat ihn nur angesehen, etwa wie ein Tier im Zoo oder als hätte sie so etwas wie ihn noch nie gesehen. Wissen Sie, so als gehörte er zu einer anderen Spezies oder wäre gerade einem Raumschiff entstiegen, Ich weiß nicht, ob ich mich damit verständlich ausdrücke«, sagte er, dann verstummte er unschlüssig.
»Kam dieser Blick Ihnen irgendwie drohend vor?«
»Nein, überhaupt nicht.« Er schüttelte energisch den Kopf, wie um sie davon zu überzeugen. »Das war ja das Sonderbare daran, daß gar keine Wut darin lag. Es lag überhaupt nichts darin.« Er steckte die Hände in die Taschen und grinste verlegen. »Tut mir leid. Ich erkläre das nicht gut.«
»Hat er es gemerkt?« fragte Brunetti.
»Nein. Er schenkte gerade Wein nach. Aber ich hab's gesehen.«
»Und die anderen Male?« fragte Brunetti. »Haben sie sich da gut verstanden?«
»Oh, ja. Die anderen Male haben sie sich gut verstanden. Ich will auch gar nicht sagen, daß sie sich an diesem Abend nicht gut verstanden hätten. Sie waren immer sehr freundlich miteinander, aber doch auch ein bißchen förmlich.«
»Haben sie die anderen Male auch mit Papieren hantiert?«
»Nein, nichts dergleichen. Sie kamen einem vor wie Freunde, oder nein, wie
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