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Brunetti 05 - Acqua alta

Brunetti 05 - Acqua alta

Titel: Brunetti 05 - Acqua alta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Seltenheit der Stücke wirklich zu schätzen wissen.« Hier verstummte er, hoffte wohl, daß sie sein Dilemma verstand.
    Sie verstand es. »Und wenn Sie die Sachen Leuten zeigen, die etwas von chinesischer Kunst oder Keramik verstehen, dann wissen die sofort, woher sie stammen?«
    »Sehr klug von Ihnen«, sagte er, sichtlich angetan von ihrer raschen Auffassungsgabe. Dann wurde sein Gesicht wieder finster. »Es ist schwer, wenn man mit Leuten zu tun hat, die nichts verstehen. Sie sehen alle diese herrlichen Dinge« - seine weit ausholende Geste schloß alles ein, was sich im Raum befand - »lediglich als Schalen oder Vasen, aber sie haben keinen Sinn für ihre Schönheit.«
    »Was sie aber nicht davon abhält, Ihnen diese Dinge zu besorgen, oder?« fragte sie, ohne ihren Sarkasmus verbergen zu wollen.
    »Nein, gar nicht. Ich sage ihnen, was sie mir beschaffen sollen, und sie tun es.«
    »Sagen Sie ihnen auch, wie sie es machen sollen?« Das Reden kostete sie allmählich zuviel Kraft. Sie wollte ein Ende.
    »Kommt darauf an, wer für mich arbeitet. Manchmal muß ich sehr ins einzelne gehen.«
    »Mußten Sie bei den Männern, die Sie zu mir geschickt haben, auch ›ins einzelne gehen‹?«
    Sie sah ihn schon zu einer Lüge ansetzen, doch dann wechselte er das Thema. »Was halten Sie von meiner Sammlung, Dottoressa?«
    Sie hatte plötzlich genug. Sie schloß die Augen und legte den Kopf an die Stuhllehne.
    »Ich habe Sie gefragt, was Sie von meiner Sammlung halten, Dottoressa«, wiederholte er etwas lauter. Langsam, mehr aus Erschöpfung als aus Eigensinn, drehte Brett mit geschlossenen Augen den Kopf hin und her.
    Ganz beiläufig und mehr als Warnung gedacht denn als Strafe, schlug er ihr mit dem Handrücken ins Gesicht und traf sie ungefähr auf Augenhöhe. Eigentlich streifte seine Hand nur ihr Gesicht, aber es war genug, um ihre verheilenden Kieferknochen erneut zu brechen, und während sich die Knochenenden verschoben, zuckte der Schmerz ihr durchs Gehirn wie eine Explosion und raubte ihr alles Denken, alles Bewußtsein.
    Brett glitt zu Boden und blieb still liegen. Er sah einen Moment lang auf sie hinunter und ging dann wieder zu dem Postament. Er bückte sich, hob den Plexiglasdeckel vom Boden auf und stülpte ihn vorsichtig über die gedrungene Vase, warf noch einen Blick auf die bewußtlos am Boden liegende Frau und verließ den Raum.

22
    Brett war in China, in dem Zelt, das man auf dem Ausgrabungsgelände für die Archäologen aufgestellt hatte. Sie schlief, aber ihr Schlafsack lag an einer schlechten Stelle, der Boden unter ihr war hart. Der Gasofen war wieder mal ausgegangen, und die bittere Kälte der hoch gelegenen Steppe nagte an ihrem Körper. Sie hatte sich geweigert, nach Peking in die Botschaft zu gehen und sich gegen Hirnhautentzündung impfen zu lassen, und jetzt war sie daran erkrankt, litt unter grauenhaften Kopfschmerzen, dem ersten Symptom, und wurde von Kälte geschüttelt, während ihr Hirn unter der todbringenden Infektion anschwoll. Matsuko hatte sie gewarnt und sich selbst schon in Tokio impfen lassen.
    Wenn sie noch eine Decke hätte, wenn Matsuko ihr etwas gegen die Kopfschmerzen brächte. Sie öffnete die Augen in der Erwartung, neben sich die grobe Zeltplane zu sehen. Statt dessen sah sie grauen Stein unter ihrem Arm, dann eine Wand, und sie erinnerte sich wieder.
    Sie schloß die Augen, lag still und lauschte, ob er noch im Zimmer war. Sie hob den Kopf und fand den Schmerz erträglich. Ihre Augen bestätigten, was die Ohren ihr schon gesagt hatten: Er war fort, und sie war allein in diesem Raum mit seiner Sammlung.
    Sie stemmte sich auf die Knie und dann, mit dem Stuhl als Stütze, auf die Füße. In ihrem Kopf pochte es, das Zimmer drehte sich um sie, aber sie blieb stehen und hielt die Augen geschlossen, bis sich alles beruhigt hatte. Der Schmerz strahlte von einer Stelle unter ihren Ohren aus und zog sich bis unter die Schädeldecke hinauf.
    Als sie die Augen öffnete, sah sie in der einen Wand lauter Fenster mit Eisengittern davor. Sie zwang sich, durchs Zimmer zu gehen und die Tür zu probieren, aber sie war abgeschlossen. Zuerst fühlte sie mit jedem Schritt einen stechenden Schmerz, doch dann entspannte sie ganz bewußt die Kiefermuskeln, und er ließ etwas nach. Sie schleppte sich wieder zur Fensterseite, zog den Stuhl heran und stieg langsam darauf. Durchs Fenster sah sie das Dach des Hauses auf der gegenüberliegenden Seite der calle. Links weitere Dächer, und rechts der

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