Brunetti 05 - Acqua alta
ein gefälschtes Stück gestanden hatte. Aber da war es zu spät. Die Kopien waren angefertigt - übrigens mit erheblichem Kostenaufwand, wenn ich das anmerken darf -, und das machte es natürlich noch notwendiger, sie alle gegen die echten Stücke auszutauschen.«
»Wann?«
»Beim Verpacken im Museum. Es war eigentlich alles ganz einfach, viel einfacher, als wir gedacht hatten. Die kleine Japanerin versuchte aufzubegehren, aber da war es schon viel zu spät.« Er verstummte, und sein Blick schweifte in die Ferne. »Ich glaube, da ist mir klargeworden, daß sie früher oder später zum Problem werden würde.« Sein Lächeln erschien wieder. »Und wie recht ich damit hatte.«
»Und darum mußte sie aus dem Weg geräumt werden?«
»Natürlich«, bestätigte er ohne Umschweife. »Ich wußte, daß ich keine andere Wahl hatte.«
»Was hatte sie denn getan?«
»Nun, zuerst machte sie hier einige Scherereien, und als sie wieder in China war, hat sie einen Brief an ihre Eltern geschrieben und sie um Rat gebeten. Danach hatte ich natürlich keine Wahl mehr, sie mußte weg.« Er legte den Kopf schief, eine Gebärde, der sie entnahm, daß er ihr etwas anvertrauen wollte. »Ehrlich gesagt, ich war überrascht, wie leicht das ging. Ich hatte es mir viel komplizierter vorgestellt, so etwas in China zu arrangieren.« Er schüttelte langsam den Kopf, bekümmert über dies neuerliche Beispiel kultureller Verseuchung.
»Woher wissen Sie, daß sie ihren Eltern geschrieben hatte?«
»Weil ich den Brief gelesen habe«, erklärte er und korrigierte sich dann: »Das heißt, ich habe eine Übersetzung ihres Briefes gelesen.«
»Wie sind Sie da rangekommen?«
»Eure gesamte Post wurde geöffnet und gelesen.« Sein Ton war fast tadelnd, als hätte sie doch wenigstens das wissen müssen. »Wie haben Sie eigentlich diesen Brief an Semenzato rausbekommen?« Seine Neugier war echt.
»Ich habe ihn jemandem mitgegeben.«
»Einem von der Ausgrabungsstätte?«
»Nein, einem Touristen, den ich in Xi'an getroffen habe. Er wollte nach Hongkong, und ich habe ihn gebeten, meinen Brief dort aufzugeben. Ich wußte, daß er auf diese Weise viel schneller ankommen würde.«
»Sehr schlau, Dottoressa. Doch, wirklich sehr schlau.«
Ein kalter Schauer durchfuhr ihren Körper. Sie hob ihre Füße, die schon lange fühllos geworden waren, von dem Marmorboden hoch und stellte sie auf die unterste Quersprosse des Stuhls. Der Regen hatte ihren Pullover völlig durchnäßt, und sie fühlte sich in ihren feuchtkalten Kleidern wie in einer Falle. Ein Schüttelfrost überkam sie, und sie schloß die Augen, bis er vorbei war. Der dumpfe Schmerz, der schon seit Tagen in ihrem Kiefer auf der Lauer lag, war zu einer lodernden Flamme geworden.
Als sie die Augen aufmachte, stand der Mann nicht mehr neben ihr, sondern nahm auf der anderen Seite des Raumes gerade wieder ein Keramikgefäß herunter.
»Was haben Sie mit mir vor?« fragte sie in bemüht ruhigem Ton.
Er kam zu ihr zurück, die Schale behutsam in beiden Händen haltend. »Das hier, finde ich, ist das schönste Stück, das ich besitze«, sagte er, wobei er sie leicht drehte, damit Brett die schlichten Linien des Musters sah, das rundherum lief. »Aus der Provinz Tsinghai, ganz am Ende der großen Mauer. Meiner Schätzung nach ist sie etwa fünf tausend Jahre alt, was meinen Sie?«
Brett blickte stumpf zu ihm auf und sah einen beleibten Mann mittleren Alters mit einer bemalten braunen Schale in den Händen. »Ich habe Sie gefragt, was Sie mit mir vorhaben«, wiederholte sie.
»Hm?« machte er abwesend und sah ganz kurz zu ihr, bevor er den Blick erneut auf die Schale heftete. »Mit Ihnen, Dottoressa?« Er machte einen Schritt nach links und stellte die Schale auf ein leeres Postament. »Ich hatte leider noch keine Zeit, darüber nachzudenken. Mir lag so sehr daran, Ihnen meine Sammlung zu zeigen.«
»Warum?«
Er blieb stehen, wo er stand, unmittelbar vor ihr, streckte nur hin und wieder die Hand aus, um die Schale vorsichtig ein winziges Stückchen nach rechts, dann wieder nach links zu drehen. »Weil ich so viele schöne Dinge habe und sie niemandem zeigen kann«, sagte er endlich, und sein Kummer darüber war so deutlich spürbar, daß er nicht gespielt sein konnte. Er drehte sich zu ihr um und erklärte mit freundlichem Lächeln: »Das heißt, niemandem, der etwas gilt. Sehen Sie, wenn ich sie Leuten zeige, die nichts von Keramiken verstehen, kann ich nicht hoffen, daß sie die Schönheit oder
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