Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 05 - Acqua alta

Brunetti 05 - Acqua alta

Titel: Brunetti 05 - Acqua alta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
und ihn anzurufen versucht, aber das ist von China aus nicht so einfach. Da bin ich schließlich hergekommen, um mit ihm zu sprechen.«
    Einfach so? Man kann jemanden telefonisch nicht erreichen, also hüpft man kurzerhand in ein Flugzeug und fliegt um die halbe Welt, um mit ihm zu reden?
    Als hätte sie seine Gedanken gelesen, antwortete sie: »Es geht um meinen Ruf. Ich bin für die Sachen verantwortlich.«
    Hier mischte Flavia sich wieder ein. »Die Stücke können vertauscht worden sein, nachdem sie wieder in China waren. Es muß nicht hier passiert sein. Und du bist kaum für das verantwortlich, was mit ihnen passiert ist, nachdem sie wieder dort waren.« Flavias Ton klang richtig feindselig. Brunetti fand es interessant, daß sie offenbar auf ein Land eifersüchtig war.
    Ihr Ton war Brett nicht entgangen, denn sie antwortete entschieden: »Es spielt keine Rolle, wo es passiert ist; es ist passiert.«
    Um sie beide von diesem Thema abzubringen - und eingedenk dessen, was Lele über das »Wissen« gesagt hatte, ob etwas echt oder falsch war -, fragte Brunetti, ganz Polizist: »Haben Sie Beweise?«
    »Ja«, begann Brett, deren Stimme viel matter klang als bei Brunettis Ankunft.
    Flavia, die das auch hörte, unterbrach sie beide und sagte zu Brunetti: »Ich glaube, das genügt, Dottor Brunetti.«
    Wenn er Brett so ansah, mußte er ihr recht geben. Die Blutergüsse in ihrem Gesicht schienen dunkler geworden, seit er hier war, und sie war tiefer in die Kissen gesunken. Sie lächelte und schloß die Augen.
    Er drängte nicht. »Es tut mir leid, Signora«, sagte er zu Flavia. »Aber die Sache kann nicht warten.«
    »Wenigstens, bis sie wieder zu Hause ist?« fragte Flavia.
    Er warf einen Blick zu Brett, um zu sehen, was sie davon hielt, aber sie schlief schon, den Kopf zur Seite gedreht, den Mund halb offen. »Morgen?«
    Flavia zögerte und beschied ihn dann mit einem widerstrebenden Ja.
    Er stand auf und nahm seinen Mantel vom Stuhl. Flavia kam bis zur Tür mit. »Sie sorgt sich nämlich nicht nur um ihren Ruf«, sagte sie. »Ich verstehe es zwar nicht, aber sie muß einfach dafür sorgen, daß diese Stücke wieder nach China kommen«, fügte sie mit einem sichtlich verständnislosen Kopfschütteln hinzu.
    Flavia Petrelli war eine der besten singenden Schauspielerinnen ihrer Zeit, und Brunetti wußte, daß er unmöglich unterscheiden konnte, wann die Schauspielerin sprach und wann die Frau, aber dies klang doch eher nach der Frau. In dieser Annahme antwortete er: »Das weiß ich, und ich glaube, es ist einer der Gründe, warum ich darüber Bescheid wissen möchte.«
    »Und die anderen Gründe?« fragte sie mißtrauisch und überraschte Brunetti mit dem eifersüchtigen Unterton, den er herauszuhören glaubte.
    »Ich arbeite nicht besser, wenn ich es aus persönlichen Motiven tue, Signora«, sagte er, womit er das Ende der kurzen Waffenruhe zwischen ihnen signalisierte. Er zog seinen Mantel an und verließ das Zimmer. Flavia blieb einen Augenblick stehen und starrte zu Brett hinüber, dann ging sie zu ihrem Platz am Bett zurück und nahm den Stapel mit den Kostümskizzen wieder in die Hand.

8
    Beim Verlassen des Krankenhauses bemerkte Brunetti, daß der Himmel sich verdunkelt hatte und ein scharfer Wind aufgekommen war, der von Süden her über die Stadt fegte. Die Luft war schwer und feucht, Regenluft, und das hieß, daß sie nachts wahrscheinlich von schrillem Sirenengeheul geweckt würden. Er haßte acqua alta so abgrundtief wie jeder Venezianer und war schon im voraus wütend auf die glotzenden Touristen, die sich auf den Holzstegen drängen würden, kichernd, gestikulierend, fotografierend und anständigen Leuten im Weg, die nur zur Arbeit oder zum Einkaufen gingen, um irgendwo wieder ins Trockene zu kommen und den Ärger, das Chaos und die ständigen Scherereien hinter sich zu lassen, die das unaufhaltsame Wasser der Stadt brachte. Brunetti rechnete sich bereits aus, daß es ihn nur auf dem Weg von und zur Arbeit berühren würde, wenn er am Fuß der Rialtobrücke über den Campo San Bartolomeo mußte. Glücklicherweise lag die Gegend um die Questura so hoch, daß sie nur bei allerschlimmster Flut überschwemmt wurde.
    Er schlug den Kragen hoch, wünschte, er hätte heute früh daran gedacht, sich einen Schal umzubinden, zog den Kopf ein und ließ sich vom Wind vorwärts treiben. Als er hinter Colleonis Statue vorbeiging, schlugen vor ihm die ersten Tropfen aufs Pflaster. Das einzig Gute an dem Wind war, daß er

Weitere Kostenlose Bücher