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Brunetti 05 - Acqua alta

Brunetti 05 - Acqua alta

Titel: Brunetti 05 - Acqua alta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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undeutlich, um es zu verstehen. Sanft strich er ihr übers Haar, aber in Gedanken war er bei Semenzato und chinesischen Keramiken.
    Sie ließ ihn los und griff nach ihrer Brille. Während sie diese aufsetzte, sagte sie: »Vergiß deine Stiefel nicht.«

9
    Als Commissario Brunetti von der venezianischen Polizei an dem Ort ankam, wo der Direktor des wichtigsten Museums der Stadt ermordet worden war, hatte er in der rechten Hand eine weiße Einkaufstüte, die in roten Lettern den Namen eines Supermarktes trug. In der Tüte war ein Paar Gummistiefel Größe zweiundvierzig, die er sich vor drei Jahren bei Standa gekauft hatte. Als er in die Wachstube am Fuß der Treppe trat, die zum Museum hinaufführte, gab er die Tüte als erstes einem der Wachmänner, mit der Bemerkung, er werde sie nachher wieder mitnehmen.
    Der Mann stellte die Tüte neben seinem Schreibtisch auf den Boden und sagte: »Einer von Ihren Leuten ist schon oben, Commissario.«
    »Gut. Es kommen noch mehr. Und der Arzt. Hat die Presse sich schon blicken lassen?«
    »Nein, Commissario.«
    »Und wo ist die Putzfrau?«
    »Wir mußten sie nach Hause bringen. Sie konnte gar nicht aufhören zu weinen, nachdem sie ihn gesehen hatte.«
    »Ist es so schlimm?«
    Der Wachmann nickte. »Alles voller Blut.«
    Kopfwunde, dachte Brunetti. Ja, da war sicher viel Blut geflossen. »Sie wird garantiert einen Aufstand machen, wenn sie nach Hause kommt, und das heißt, daß jemand beim Gazzettino anruft. Sorgen Sie bitte möglichst dafür, daß die Reporter hier unten bleiben, wenn sie kommen.«
    »Ich werde es versuchen, aber ob es etwas nützt, weiß ich nicht.«
    »Halten Sie sie hier fest«, sagte Brunetti.
    »Ja, Commissario.«
    Brunetti blickte den langen Gang hinunter, an dessen Ende eine Treppe nach oben führte. »Ist das Büro da oben?« fragte er.
    »Ja. Gleich links. Sie sehen dann schon das Licht am Ende des Flurs. Ich glaube, Ihr Kollege ist drin.«
    Brunetti drehte sich um und ging den Korridor hinunter. Seine Schritte dröhnten unheimlich und hallten von den Wänden und dem Treppenhaus wider. Kälte, diese durchdringende, feuchte venezianische Winterkälte, drang aus dem Fußboden unter ihm und aus den Backsteinwänden des Korridors. Hinter sich hörte er das helle Scheppern von Metall auf Stein, aber es rief niemand, also ging er weiter. Die nächtliche Feuchtigkeit hatte sich als glitschiger Film auf den breiten Steinstufen unter seinen Füßen niedergeschlagen.
    Oben wandte er sich nach links dem Licht zu, das aus einer offenen Tür am Ende des Korridors fiel. Auf halbem Weg rief er: »Vianello?« Gleich darauf erschien der Sergente in der Tür, angetan mit einem dicken Wollmantel, unter dem ein Paar leuchtendgelbe Gummistiefel hervorschauten.
    »Buona sera, dottore«, sagte er und hob dabei die Hand, ein Mittelding zwischen offizieller und privater Begrüßung.
    »Buona sera, Vianello«, sagte Brunetti. »Na, wie sieht's da drin aus?«
    Vianellos faltiges Gesicht blieb unbewegt, als er antwortete: »Ziemlich schlimm, Commissario. Es hat offenbar ein Kampf stattgefunden, ein Riesendurcheinander, umgekippte Stühle, umgeworfene Lampen. Der Direktor war ein kräftiger Mann, woraus ich schließe, daß die zu zweit waren. Aber das sind nur erste Eindrücke. Das Laborteam kann uns sicher mehr sagen.« Er trat beim Sprechen zurück, so daß Brunetti ihm in das Zimmer folgen konnte.
    Es sah genauso aus, wie Vianello gesagt hatte: Eine Stehlampe lehnte schräg am Schreibtisch, der mit den Splittern ihres zerbrochenen Glasschirms übersät war; hinter dem Schreibtisch lag ein umgekippter Stuhl; davor ein zusammengeschobener Seidenteppich, in dessen langen Fransen sich das Fußgelenk des daneben tot auf dem Boden ausgestreckten Mannes verfangen hatte. Er lag auf dem Bauch, einen Arm unter dem Körper, den anderen mit nach oben gebogenen Fingern vorgereckt, als wollte er bereits um Gnade an der Himmelspforte bitten.
    Brunetti sah sich den Kopf an, den grotesken Heiligenschein aus Blut drum herum, und schaute rasch wieder weg. Aber wohin er auch immer den Blick wandte, überall war Blut: Tropfen auf dem Schreibtisch, ein dünnes Rinnsal vom Schreibtisch zum Teppich, und noch mehr an dem kobaltblauen Backstein, der einen halben Meter neben dem Mann auf dem Boden lag.
    »Der Wachmann unten sagt, es ist Dottor Semenzato«, erklärte Vianello in das Schweigen hinein, das von Brunetti ausging. »Die Putzfrau hat ihn gegen halb elf gefunden. Das Büro war von außen

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