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Brunetti 05 - Acqua alta

Brunetti 05 - Acqua alta

Titel: Brunetti 05 - Acqua alta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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uns Italienern nachgesagt wird, daß wir mehr Sympathie für Unehrlichkeit aufbringen als andere. Sie verstehen, was ich meine?«
    Er nickte. »Das heißt«, versuchte er es Brett zu erklären, als er sah, daß Flavia dazu keine Anstalten machte, »sie konnte nur über Semenzato mit anderen verkehren. Sie hatten eine gemeinsame Sprache.«
    »Moment mal«, fuhr Brett auf. Sie verstand jetzt, was die beiden meinten, was aber nicht hieß, daß es ihr gefiel. »Jetzt soll also Semenzato schuldig sein, so ohne weiteres, und Matsuko auch? Nur weil beide Englisch sprachen?«
    Weder Brunetti noch Flavia sagte ein Wort.
    »Ich habe drei Jahre lang mit Matsuko gearbeitet«, fuhr Brett hitzig fort. »Sie war Archäologin, Kuratorin. Ihr beide könnt sie nicht einfach zur Diebin erklären, ihr könnt euch nicht hier zum Richter aufschwingen und sie schuldig sprechen, ohne jedes Wissen, ohne Beweise.« Brunetti stellte fest, daß sie mit dem ebenso unbegründeten Schuldspruch für Semenzato offenbar keine Probleme hatte.
    Immer noch antwortete ihr keiner. Es verging fast eine volle Minute. Schließlich setzte Brett sich auf dem Sofa zurecht, streckte dann die Hand aus und nahm ihr Glas. Aber sie trank nicht, ließ nur die Flüssigkeit kreisen und stellte das Glas wieder auf den Tisch. »Occam's razor«, sagte sie endlich in resigniertem Ton.
    Brunetti wartete, ob Flavia etwas sagen würde, weil er dachte, sie wüßte vielleicht, was damit gemeint war, aber Flavia schwieg. Also fragte er: »Wessen Rasiermesser?«
    »William von Occam«, sagte Brett, ohne dabei den Blick von ihrem Glas zu wenden. »Ein mittelalterlicher Philosoph. Engländer, glaube ich. Er hatte die Theorie, daß die richtige Erklärung für jedes Problem gewöhnlich die ist, die von den vorhandenen Informationen den einfachsten Gebrauch macht.«
    Dann konnte dieser William eindeutig kein Italiener sein, dachte Brunetti unwillkürlich. Er warf einen Blick zu Flavia und hätte schwören können, daß ihre hochgezogene Augenbraue dasselbe besagte.
    »Flavia, wärst du so lieb, mir etwas anderes zu trinken zu holen?« bat Brett, indem sie ihr halbvolles Glas hochhielt. Brunetti sah Flavias anfängliches Zögern, dann den mißtrauischen Blick, den sie zuerst ihm, dann wieder Brett zuwarf, und mußte daran denken, wie dieser Blick dem ähnelte, mit dem Chiara ihn bedachte, wenn man sie um etwas bat, wozu sie das Zimmer verlassen mußte, wo Paola und er etwas zu bereden hatten, was sie vor ihr geheimhalten wollten. Mit einer fließenden Bewegung erhob sich Flavia aus ihrem Sessel, nahm Bretts Glas und ging zur Küche. An der Tür blieb sie nur lange genug stehen, um über die Schulter zu rufen: »Ich hole dir Mineralwasser. Und ich sehe zu, daß ich schön lange brauche, um die Flasche zu öffnen.« Die Tür schlug zu, und sie war verschwunden.
    Was sollte das? überlegte Brunetti.
    Sowie Flavia fort war, sagte Brett es ihm. »Matsuko und ich waren ein Liebespaar. Ich habe es Flavia nie gesagt, aber sie weiß es sowieso.« Ein lauter Knall aus der Küche bestätigte das.
    »Es hatte in Xi'an begonnen, etwa ein Jahr nachdem sie zu uns gekommen war.« Und um es klarer zu machen, fügte sie hinzu: »Wir haben gemeinsam an der Ausstellung gearbeitet, und sie hat eine Abhandlung für den Katalog geschrieben.«
    »Wessen Idee war es, daß sie an der Ausstellung mitarbeiten sollte?« fragte Brunetti.
    Brett versuchte erst gar nicht, ihre Verlegenheit zu verbergen. »Meine? Ihre? Ich weiß es nicht mehr. Es hat sich einfach so ergeben. Wir haben uns einmal nachts darüber unterhalten.« Sie errötete unter ihren Blessuren. »Und am Morgen war es ausgemachte Sache, daß sie den Artikel schreiben und mit nach New York kommen sollte, um bei der Ausstellung zu helfen.«
    »Aber nach Venedig sind Sie allein gekommen?« fragte er.
    Sie nickte. »Wir sind nach der New Yorker Eröffnung zusammen nach China zurückgeflogen. Später war ich dann wieder in New York, um bei der Schließung dabeizusein, und Matsuko kam nach London und hat mir beim Aufbau geholfen. Nach der Eröffnung sind wir gleich nach China zurück. Ich bin dann einige Zeit später allein wieder nach London geflogen, um alles für Venedig zu verpacken. Ich dachte, sie käme mit mir zur Eröffnung, aber sie wollte nicht. Sie sagte, sie wolle ...« Bretts Stimme versagte. Sie räusperte sich und wiederholte: »Sie sagte, sie wolle, daß wenigstens diese Ausstellung allein mein Werk sei, und darum komme sie nicht.«
    »Aber

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