Brunetti 05 - Acqua alta
Staatsdiener zugeben zu hören, daß er etwas nicht weiß«, sagte sie und griff nach ihrem leeren Glas.
Als sie sah, daß kein Champagner mehr da war, wurde ihre Stimme ernster. »Matsuko?« fragte sie.
»Wahrscheinlich.«
»Aber woher sollte sie Semenzato so gut kennen? Oder vielmehr wissen, daß er der richtige Mann dafür war?«
Brunetti überlegte. »Er hatte anscheinend einen gewissen Ruf, zumindest hier.«
»Einen Ruf, von dem Matsuko wissen konnte?«
»Vielleicht. Sie hatte seit Jahren mit Altertümern zu tun, hat also sicher dies und das gehört. Und wie Brett sagt, ist ihre Familie sehr reich. Vielleicht wissen die sehr Reichen über solche Dinge Bescheid.«
»Ja, das wissen wir«, stimmte sie mit einer Selbstverständlichkeit zu, die er mit Sicherheit für echt hielt. »Es ist beinah wie in einem geschlossenen Club, als hätten wir ein Gelübde abgelegt, einer des anderen Geheimnisse zu wahren. Und es ist immer ganz leicht, sehr leicht, zu erfahren, wo man einen krummen Steueranwalt findet - nicht daß es andere gäbe, jedenfalls nicht in diesem Land - oder jemanden, der Drogen besorgen kann, oder Jungen oder Mädchen, oder jemanden, der bereitwillig dafür Sorge trägt, daß ein Gemälde von einem Land ins andere kommt, ohne daß Fragen gestellt werden. Natürlich weiß ich nicht genau, wie das in Japan geht, aber ich kenne keinen Grund, warum es da irgendwie anders sein sollte. Reichtum hat seinen eigenen Paß.«
»Hatten Sie über Semenzato schon etwas gehört?«
»Wie gesagt, ich habe ihn nur das eine Mal getroffen, und ich mochte ihn nicht, darum interessierte mich nicht, was über ihn geredet wurde. Und jetzt ist es zu spät, mich zu erkundigen, denn jeder wird bemüht sein, nur gut von ihm zu reden.« Sie nahm sich Bretts Wasserglas und trank einen Schluck. »Natürlich wird sich das in ein paar Wochen ändern, da werden die Leute wieder die Wahrheit über ihn sagen. Aber im Moment ist nicht der richtige Zeitpunkt, sie zu erfahren.« Sie stellte das Glas ab.
Obwohl er die Antwort schon zu kennen glaubte, fragte er dennoch: »Hat Brett etwas über Matsuko gesagt? Ich meine, nachdem Semenzato umgebracht wurde?«
Flavia schüttelte den Kopf. »Sie hat überhaupt nicht viel gesagt. Nicht seit das angefangen hat.« Sie beugte sich vor und rückte das Glas ein paar Millimeter nach links. »Brett hat Angst vor Gewalt. Das ist eigentlich widersinnig, weil sie sehr mutig ist. Wir Italienerinnen sind das nämlich nicht. Wir sind draufgängerisch und frech, aber nicht tapfer. Brett ist in China, lebt die halbe Zeit im Zelt, reist im Land herum. Einmal ist sie sogar mit dem Bus nach Tibet gefahren. Sie hat mir erzählt, wie die chinesischen Behörden ihr kein Visum geben wollten und sie einfach die Papiere gefälscht hat und hingefahren ist. Sie hat keine Angst vor etwas, wovor die meisten Leute eine Heidenangst haben, nämlich, daß sie Ärger mit Behörden kriegen oder verhaftet werden. Aber körperliche Gewalt macht ihr angst. Ich glaube, das kommt daher, daß sie so viel in ihren Gedanken lebt, durch Nachdenken Probleme durcharbeitet und löst. Sie ist nicht mehr dieselbe, seit das passiert ist. Sie mag nicht an die Tür gehen, wenn es klingelt. Tut so, als hätte sie es nicht gehört, oder wartet einfach, bis ich hingehe. Aber der Grund ist, daß sie Angst hat.«
Brunetti fragte sich, warum Flavia ihm das alles erzählte. »Ich muß nächste Woche weg«, sagte sie, womit seine Frage beantwortet war. »Meine Kinder waren zwei Wochen mit ihrem Vater zum Skifahren und kommen dann nach Hause. Ich habe schon drei Vorstellungen abgesagt, aber mehr kann ich nicht absagen. Will ich auch nicht. Ich habe sie eingeladen mitzukommen, aber sie weigert sich.«
»Warum?«
»Ich weiß es nicht. Sie will es nicht sagen. Oder kann nicht.«
»Warum erzählen Sie mir das?«
»Weil ich glaube, sie würde es sich von Ihnen sagen lassen.«
»Was sagen?«
»Daß sie mit mir kommen soll.«
»Nach Mailand?«
»Ja. Und danach muß ich im März für einen Monat nach München. Sie könnte mich begleiten.«
»Und was ist mit China? Muß sie nicht zurück?«
»Um mit gebrochenem Genick auf dem Grund dieser Grube zu enden?« Obwohl er wußte, daß ihr Zorn nicht ihm galt, ließ dieser Ton ihn zusammenfahren.
»Hat sie denn davon gesprochen, daß sie zurückwill?« fragte er.
»Sie hat über gar nichts gesprochen.«
»Wissen Sie, wann sie zurücksollte?«
»Ich glaube nicht, daß sie schon etwas geplant hat. Als
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