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Brunetti 05 - Acqua alta

Brunetti 05 - Acqua alta

Titel: Brunetti 05 - Acqua alta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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bis sie es wieder gefüllt hatte. »Wo war ich?«
    »Auf dem Sofa, glaube ich, im Gebet zu Gott«, half Brett nach.
    »Ach, ja. Und dann stolpert doch dieser Scarpia, ein riesiger, ungeschlachter Klotz von einem Mann, über die Telefonschnur und reißt sie aus der Wand. Und ich auf dem Sofa, den Draht zu Gott abgeschnitten, und hinter dem Bariton sehe ich den Regisseur in den Kulissen stehen und wie irre gestikulieren. Ich glaube, ich sollte das Kabel irgendwie wieder einstecken und auf jeden Fall telefonieren.« Sie nippte, bedachte Brunetti mit einem so warmen Lächeln, daß er sich veranlaßt fühlte, ebenfalls an seinem Champagner zu nippen, und erzählte weiter: »Aber irgendwie muß man als Künstler sein Niveau wahren.« Dann mit einem Blick zu Brett: »Oder wie ihr Amerikaner sagt, man muß irgendwo eine Grenze in den Sand ziehen.«
    Sie machte eine Pause, und Brunetti wußte, was von ihm erwartet wurde. »Was haben Sie gemacht?« fragte er.
    »Ich habe den Hörer genommen und hineingesungen, als ob ich jemanden am anderen Ende hätte, ganz so, als hätte niemand gesehen, daß die Schnur herausgerissen war.« Sie stellte ihr Glas auf den Tisch, streckte die Arme von sich wie eine Gekreuzigte und begann ohne jede Vorwarnung die letzten Takte der Arie zu singen: »Nell ora del dolore perché, perché Signore, ah perché me ne rimuneri così?« Wie machte sie das nur? Von der normalen Sprechstimme ohne Vorbereitung gleich hinauf in diese langen, hohen Töne?
    Brunetti lachte so laut, daß er dabei Champagner auf seine Hemdbrust verschüttete. Brett stellte ihr Glas ab und hielt sich mit beiden Händen den Mund zu.
    Flavia lehnte sich so lässig zurück, als wäre sie nur kurz in der Küche gewesen, um nach dem Braten zu sehen und festzustellen, daß er durch war, und fuhr mit ihrer Geschichte fort. »Scarpia mußte dem Publikum den Rücken zudrehen, so hat er gelacht. Es war das erstemal in vier Wochen, daß er etwas tat, was ihn mir sympathisch machte. Ich habe fast bedauert, daß ich ihn ein paar Minuten später umbringen mußte. Der Regisseur hat in der Pause hysterisch getobt und mich angebrüllt, ich hätte ihm die ganze Inszenierung ruiniert und er würde nie wieder mit mir arbeiten. Na ja, das steht ja wohl fest, oder? Die Kritiken waren grauenvoll.«
    »Flavia«, schalt Brett sie sanft, »die Kritiken über die Inszenierung waren grauenvoll; deine waren hervorragend.«
    Im selben Ton, in dem man einem Kind etwas erklärt, sagte Flavia: »Meine Kritiken sind immer hervorragend, cara.« Einfach so. Sie wandte sich an Brunetti. »Und genau in dieses Fiasko hinein kam sie«, sagte sie und deutete auf Brett, »um mit mir und den Kindern Weihnachten zu feiern.« Sie schüttelte ein paarmal den Kopf. »Sie hatte gerade die Leiche dieser jungen Frau nach Tokio gebracht. Nein, das war keine fröhliche Weihnacht.«
    Champagner hin, Champagner her, Brunetti fand, daß er doch noch mehr über den Tod von Bretts Assistentin wissen wollte. »Tauchte damals irgendwann die Frage auf, ob es vielleicht doch kein Unfall war?«
    Brett schüttelte den Kopf, das vor ihr stehende Glas war vergessen. »Nein. Irgendwann ist fast jeder von uns mal am Rand der Grube ausgerutscht. Einer der chinesischen Archäologen war kaum einen Monat zuvor da runtergefallen und hatte sich den Knöchel gebrochen. Wir glaubten also seinerzeit alle an einen Unfall. Vielleicht war es ja einer«, fügte sie ohne die mindeste Überzeugung hinzu.
    »Hat sie an der Ausstellung hier mitgewirkt?« fragte Brunetti.
    »Bei der Eröffnung war sie nicht dabei. Dazu bin ich allein hergekommen. Aber Matsuko hat das Verpacken der Stücke für den Rücktransport nach China beaufsichtigt.«
    »Waren Sie auch hier?«
    Brett zögerte lange, sah kurz zu Flavia hinüber, senkte dann den Kopf und antwortete: »Nein.«
    Flavia griff erneut nach der Flasche und schenkte Champagner nach, obwohl nur ihr Glas des Nachfüllens bedurfte.
    Eine Weile sagte keiner etwas, bis Flavia schließlich im Ton einer Feststellung, nicht einer Frage, zu Brett meinte: »Sie sprach kein Italienisch, nicht?«
    »Nein«, antwortete Brett.
    »Aber sie und Semenzato sprachen beide Englisch, soweit ich mich erinnere.«
    »Was spielt denn das für eine Rolle?« wollte Brett wissen, und in ihrem Ton lag etwas Zorniges, was Brunetti spürte, aber nicht ergründen konnte.
    Flavia schnalzte leise mit der Zunge und wandte sich mit gespielter Erbitterung an Brunetti. »Vielleicht ist es ja wahr, was

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