Brunetti 05 - Acqua alta
Flavia und Brunetti einen Blick und wußten sofort, was hier zu tun war. Mit großer Willensanstrengung verkniffen sich beide die Bemerkung: »Americani«.
Flavia fand, daß sie es ihr erklären mußte. »Solange die Chinesen nichts wissen, schadet es deiner Karriere nicht.«
Für Brett schien Flavia gar nichts gesagt zu haben. »Sie können diese Stücke nicht weiterhin ausstellen. Es sind Fälschungen.«
»Brett, wie lange waren sie in Peking ausgestellt?« fragte Flavia.
»Über ein Jahr.«
»Und niemand hat gemerkt, daß sie nicht echt sind?«
»Nein«, mußte Brett zugeben.
Hier nahm Brunetti den Faden auf. »Dann wird es wahrscheinlich auch keiner merken. Außerdem könnte der Austausch jederzeit stattgefunden haben, nicht?«
»Aber wir wissen, daß es nicht so war«, beharrte Brett.
»Das ist es ja gerade, cara.« Flavia versuchte es noch einmal. »Außer den Leuten, die diese Vasen gestohlen haben, wissen nur wir davon.«
»Das ändert doch nichts«, sagte Brett, die langsam wieder zornig wurde. »Früher oder später wird doch irgend jemand merken, daß es Fälschungen sind.«
»Und je später das ist«, erklärte Flavia mit breitem Lächeln, »desto unwahrscheinlicher wird es, daß jemand dich damit in Verbindung bringt.« Sie ließ das erst einmal wirken, bevor sie hinzufügte: »Es sei denn, du willst zehn Jahre Arbeit einfach wegwerfen.«
Lange saß Brett schweigend da, während die beiden anderen zusahen, wie sie sich das Gesagte durch den Kopf gehen ließ. Brunetti betrachtete ihr Gesicht und hatte den Eindruck, das Hin und Her zwischen Fühlen und Denken mitverfolgen zu können.
Als sie gerade zum Sprechen ansetzte, sagte er plötzlich: »Wenn wir herausfinden, wer Semenzato umgebracht hat, bekommen wir ja die Originalvasen möglicherweise zurück.« Er hatte keine Ahnung, ob das stimmte, aber er hatte Bretts Gesicht beobachtet und wußte, daß sie es gerade hatte ablehnen wollen, die Sache zu verschweigen.
»Hier nützen sie nichts. Sie müssen wieder nach China, und das ist unmöglich.«
»Kaum«, warf Flavia laut lachend ein. Da sie in Brunetti einen Gleichgesinnten erkannt hatte, wandte sie sich nun an ihn und erklärte: »Die Meisterklassen in Peking.«
Brett reagierte unverzüglich. »Aber du hast gesagt, du bist nicht interessiert.«
»Das war letzten Monat. Wozu bin ich eine Primadonna, wenn ich nicht mal meine Meinung ändern kann? Du hast selbst gesagt, die würden mich behandeln wie eine Königin, wenn ich zusage. Da würden sie wohl kaum mein Gepäck durchsuchen, wenn ich auf dem Flughafen Peking ankomme und der Kulturminister mich dort in Empfang nimmt. Ich bin eine Diva, sie erwarten also, daß ich mindestens mit elf Koffern reise. Ich würde sie ungern enttäuschen.«
»Und wenn sie doch deine Koffer öffnen?« fragte Brett, aber in ihrer Stimme lag keine Angst.
Flavia überlegte nicht lange. »Wenn ich mich recht erinnere, wurde vor nicht allzu langer Zeit einer unserer Minister auf einem afrikanischen Flughafen mit Drogen erwischt, und nichts ist dabei herausgekommen. In China dürfte eine Diva doch viel wichtiger sein als ein Minister. Und es geht ja um deinen Ruf, nicht um meinen.«
»Bleib mal ernst, Flavia«, sagte Brett.
»Ich bin ernst. Es ist absolut undenkbar, daß die mein Gepäck durchsuchen, jedenfalls nicht bei der Einreise. Du hast mir gesagt, daß sie deins auch noch nie durchsucht haben, und du reist seit Jahren ständig ein und aus.«
»Die Möglichkeit besteht immer, Flavia«, sagte Brett, aber Brunetti hörte genau, daß sie nicht daran glaubte.
»Viel eher besteht ja wohl - nach allem, was du mir über deren Vorstellungen von Wartung erzählt hast - die Möglichkeit, daß mein Flugzeug abstürzt, aber das ist kein Grund, nicht hinzufliegen. Außerdem könnte es für mich interessant sein. Vielleicht inspiriert es mich ja für die Turandot.« Brunetti glaubte schon, sie wäre fertig, da fügte sie noch hinzu: »Aber warum vertun wir die Zeit mit Reden?« Sie sah Brunetti an, als machte sie ihn für die verschwundenen Vasen verantwortlich.
Zu seiner eigenen Überraschung hätte Brunetti nicht sagen können, ob es ihr mit dem Versuch, die Vasen nach China zurückzubringen, Ernst war. Er wandte sich an Brett. »Auf jeden Fall dürfen Sie jetzt nichts sagen. Semenzatos Mörder weiß nicht, was Sie uns erzählt haben, nicht einmal, ob wir schon ein Motiv für den Mord gefunden haben. Und ich möchte, daß es so bleibt.«
»Aber Sie waren hier. Sie
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