Brunetti 05 - Acqua alta
nett, Giulio.« Dann fragte er, von echter Neugier getrieben: »Besteht die Möglichkeit, daß man Sie nach Verona schickt?«
»Nein, ich glaube nicht. Die Leute in Mailand sind die besten, die wir haben. Ich würde da nur hinfahren, wenn sich herausstellen sollte, daß irgendeine Verbindung zu einem der Fälle besteht, an denen ich hier gerade arbeite.«
»Also gut. Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas über La Capra haben. Ich bin voraussichtlich den ganzen Nachmittag hier. Und vielen Dank, Giulio.«
»Danken Sie mir nicht, bevor Sie wissen, was ich Ihnen zu bieten habe«, sagte Carrara und legte auf, ehe Brunetti noch antworten konnte.
Brunetti rief bei Signorina Elettra an, um nachzufragen, ob sie die Aufstellung von La Capras und Semenzatos Telefonaten schon bekommen hatte. Zu seiner Freude hatte sie nicht nur von der Telecom die Kopien bekommen, sondern auch schon eine Reihe von Anrufen darin gefunden, die zwischen ihren Privat- und Dienstanschlüssen sowie zwischen diesen und den Hotels im Ausland geführt worden waren, während der jeweils andere sich dort aufhielt. »Soll ich sie Ihnen raufbringen, Commissario?« fragte sie.
»Das wäre sehr freundlich, Signorina, danke.«
Während er auf sie wartete, schlug er die Akte über Brett auf und wählte die darin angegebene Nummer. Er ließ es siebenmal klingeln, aber niemand nahm ab. Hieß das, sie hatte seinen Rat befolgt und war mit Flavia nach Mailand gefahren? Vielleicht hatte Flavia ja angerufen, um ihm das mitzuteilen.
Seine Überlegungen wurden durch die Ankunft von Signorina Elettra unterbrochen, heute in seriösem Grau; seriös jedenfalls so lange, bis er etwas tiefer an ihr hinunterblickte und die wild gemusterten schwarzen Strümpfe sah - waren das Blumen? - sowie ein Paar rote Schuhe mit so hohen Absätzen, wie Paola sie nie zu tragen gewagt hätte. Sie kam an seinen Schreibtisch und legte ihm eine braune Mappe hin. »Die zueinander passenden Telefonate habe ich eingekringelt«, erklärte sie.
»Vielen Dank, Signorina. Haben Sie noch eine Kopie davon?«
Sie nickte.
»Gut. Jetzt hätte ich gern noch eine Aufstellung der Telefonate aus dem Antiquitätengeschäft von Francesco Murino am Campo Santa Maria Formosa, und sehen Sie, ob daraus hervorgeht, daß Semenzato oder La Capra dort angerufen haben. Oder ob Murino einen der beiden angerufen hat.«
»Ich habe mir erlaubt, AT&T in New York anzurufen«, sagte Signorina Elettra, »und nachprüfen lassen, ob einer der beiden eine ihrer internationalen Telefonkarten hat. La Capra hat eine. Der Mann, mit dem ich gesprochen habe, will uns eine Aufstellung aller Gespräche der letzten zwei Jahre zufaxen. Vielleicht bekomme ich sie heute nachmittag noch.«
»Haben Sie selbst mit dem Mann gesprochen, Signorina?« fragte Brunetti erstaunt. Englisch? Ein Freund bei der Banca d'Italia, und jetzt auch noch Englisch?
»Natürlich. Er konnte kein Italienisch, obwohl er in der internationalen Abteilung arbeitet.« Sollte Brunetti über diese Unzulänglichkeit schockiert sein? Wenn ja, so wollte er ihr den Gefallen gern tun, denn Signorina Elettra war auf jeden Fall schockiert.
»Und wie kommt es, daß Sie Englisch sprechen?«
»Das war meine Arbeit bei der Banca d'Italia, Dottore.
Ich war für die Übersetzungen aus dem Englischen und Französischen zuständig.«
Er fragte, noch ehe er es sich verkneifen konnte: »Und da sind Sie weggegangen?«
»Ich hatte keine andere Wahl, Commissario«, antwortete sie, und als sie seine Verwirrung bemerkte, erklärte sie: »Mein Chef wollte einen Brief an eine Bank in Johannesburg ins Englische übersetzt haben.« Sie verstummte und beugte sich vor, um ein weiteres Blatt aus dem Stapel zu ziehen. War das alles, was sie ihm als Erklärung geben wollte?
Sie betrachtete ihn eingehend, als hätte sie sich plötzlich gefragt, ob er vielleicht doch kein Italienisch verstand. Dann sagte sie langsam und deutlich: »Die Sanktionen.«
»Sanktionen?« wiederholte er.
»Die UN-Sanktionen gegen Südafrika, Commissario. Sie waren damals noch in Kraft, also hatte ich keine andere Wahl, als die Übersetzung des Briefs zu verweigern.«
»Meinen Sie die Sanktionen gegen die südafrikanische Regierung?« fragte er.
»Natürlich, Commissario. Die waren schließlich von den Vereinten Nationen verhängt worden, nicht wahr?«
»Ich glaube, ja. Und darum wollten Sie den Brief nicht schreiben?«
»Es ist doch sinnlos, Sanktionen zu verhängen, wenn die Leute sich nicht daran halten,
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