Brunetti 05 - Acqua alta
Plötzlich war irgendwo hinter ihr ein lautes Geräusch zu hören, das nach schwerem technischem Gerät klang. »Was war das?«
»Ein Boot.«
»Wo bist du denn?«
»Riva degli Schiavoni.« Sie erklärte das: »Ich wollte nicht von der Wohnung aus anrufen und habe einen Spaziergang gemacht.« Ihr Ton veränderte sich. »Ich bin nicht weit von der Questura. Darfst du während der Arbeit Besucher empfangen?«
»Aber sicher«, sagte er lachend. »Ich bin einer der Chefs.«
»Wäre es dann recht, wenn ich zu dir komme? Ich rede so ungern am Telefon.«
»Natürlich. Jederzeit. Jetzt gleich. Ich muß hier auf einen Anruf warten, aber es ist doch unsinnig, wenn du den ganzen Nachmittag im Regen herumläufst. Außerdem«, fügte er mit einem stillen Lächeln hinzu, »ist es hier warm.«
»Also gut. Soll ich nach dir fragen?«
»Ja, sag dem Mann an der Anmeldung, daß du einen Termin mit mir hast, dann bringt er dich zu mir rauf.«
»Danke. Bis gleich.« Sie hängte ein, ohne sein Schlußwort abzuwarten.
Er hatte kaum den Hörer aufgelegt, da klingelte das Telefon erneut. Es war Carrara.
»Guido, Ihr Signor La Capra war im Computer.«
»Ach ja?«
»Die chinesischen Keramiken waren der Schlüssel.«
»Warum?«
»Zweierlei. Vor etwa drei Jahren verschwand aus einer Privatsammlung in London eine Seladonschale. Der Mann, der schließlich dafür eingesperrt wurde, wollte von einem Italiener dafür bezahlt worden sein, daß er ihm speziell dieses Stück beschaffte.«
»La Capra?«
»Das wußte er nicht. Aber nach Aussage des Mannes, der ihn ans Messer lieferte, ist La Capras Name von einem der Mittelsmänner genannt worden, die das Geschäft arrangiert haben.«
»Das Geschäft arrangiert?« fragte Brunetti. »Einfach so, den Diebstahl eines einzigen Stückes?«
»Ja. Das greift immer mehr um sich«, antwortete Carrara.
»Und das zweite?« wollte Brunetti wissen.
»Also, das ist nur Hörensagen. Es ist bei uns unter ›unbestätigt‹ eingeordnet.«
»Und worum geht es da?«
»Vor etwa zwei Jahren wurde in Paris ein Antiquitätenhändler, der sich auf chinesische Kunst spezialisiert hatte, beim nächtlichen Spaziergang mit seinem Hund überfallen und getötet, ein gewisser Philippe Bernadotte. Dabei wurden ihm Brieftasche und Schlüsselbund abgenommen. Die Schlüssel wurden zwar benutzt, um in sein Haus einzudringen, aber merkwürdigerweise wurde nichts gestohlen. Allerdings hatte man seinen Schreibtisch durchsucht und offenbar Papiere mitgenommen.«
»Und La Capra?«
»Der Geschäftspartner von Bernadotte erinnerte sich nur, daß er wenige Tage vor seiner Ermordung eine heftige Auseinandersetzung mit einem Kunden erwähnt hatte, der ihn bezichtigt habe, ihm wissentlich ein gefälschtes Kunstobjekt verkauft zu haben.«
»Und dieser Kunde war La Capra?«
»Das wußte der Geschäftspartner nicht. Er wußte nur, daß Monsieur Bernadotte diesen Kunden öfter als ›die Ziege‹ tituliert hatte, was er zu dem Zeitpunkt für einen Scherz hielt. Als Franzose konnte der Mann nicht wissen, daß ›capra‹ auf italienisch Ziege heißt.«
»War Monsieur Bernadotte oder seinem Teilhaber denn zuzutrauen, daß sie wissentlich Fälschungen verkauften?« fragte Brunetti.
»Dem Teilhaber wohl nicht. Aber Bernadotte war offenbar an einer Reihe von An- und Verkäufen beteiligt, die zumindest fragwürdig erschienen.«
»Wem? Den Kunstfahndern?«
»Ja. Das Pariser Büro hatte eine immer dicker werdende Akte über ihn.«
»Aber aus seiner Wohnung wurde nach seiner Ermordung nichts entwendet?«
»Es sieht nicht so aus, aber sein Mörder hatte reichlich Zeit, alles mögliche aus seinen Unterlagen und Inventarlisten zu entfernen.«
»Dann wäre es also denkbar, daß Signor La Capra ›die Ziege‹ war, die Bernadotte gegenüber seinem Teilhaber erwähnt hatte?«
»Scheint so«, bestätigte Carrara.
»Sonst noch etwas?«
»Nein, aber für alles, was Sie sonst noch über ihn sagen könnten, wären wir dankbar.«
»Ich lasse Ihnen von meiner Sekretärin alles schicken, was wir haben, und gebe Bescheid, wenn wir über ihn und Semenzato noch mehr herausfinden.«
»Danke, Guido.« Damit legte Carrara auf.
Was sang noch Conte Almaviva? »E mi farà il destino ritrovar questo paggio in ogni loco!« Ebenso war es offenbar Brunettis Schicksal, überall auf La Capra zu stoßen. Allerdings erschien ihm Cherubino um einiges unschuldiger als Signor La Capra. Brunetti hatte mehr als genug erfahren, um davon überzeugt zu sein, daß
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