Brunetti 06 - Sanft entschlafen
Vater um Hilfe bitten wollte.«
»Wegen Don Luciano?«
»Ja.«
»Und?«
»Er hat mit ein paar Leuten gesprochen, Freunden in Rom. Ich glaube, er hat eine Lösung gefunden.«
»Sag sie mir.«
Das tat sie.
Die Haushälterin öffnete auf Brunettis zweites Klingeln die Tür zum Pfarrhaus. Sie war eine unscheinbare Frau von vielleicht Ende Fünfzig und hatte die glatte, makellose Haut, die ihm schon oft in den Gesichtern von Nonnen und anderen Frauen aufgefallen war, die sich lange ihre Jungfräulichkeit bewahrt hatten.
»Ja, bitte?« fragte sie. »Was kann ich für Sie tun?« Sie mochte früher einmal hübsch gewesen sein mit ihren dunkelbraunen Augen und dem breiten Mund, aber die Zeit hatte sie derlei Dinge vergessen lassen, oder ihr fehlte der Wille zur Schönheit, und so war ihr Gesicht verwelkt und stumpf und schlaff geworden.
»Ich möchte gern mit Luciano Benevento sprechen«, sagte Brunetti.
»Sind Sie ein Gemeindemitglied?« fragte sie, erstaunt, daß er den Namen des Priesters ohne seinen Titel nannte.
»Ja«, antwortete Brunetti nach einem nur ganz winzigen Zögern; immerhin war seine Antwort ja geographisch korrekt.
»Wenn Sie mit in sein Arbeitszimmer kommen, werde ich Don Luciano rufen.« Sie wandte sich von Brunetti ab, der die Tür hinter sich schloß und ihr durch die marmor-geflieste Eingangsdiele folgte. Sie öffnete ihm die Tür zu einem kleinen Zimmer und verschwand durch die Diele, auf der Suche nach dem Pfarrer.
In dem Zimmer standen zwei Sessel nah beieinander, vielleicht um die Intimität der Beichte zu fördern. An einer Wand hing ein kleines Kruzifix, gegenüber ein Bild der Madonna von Krakau. Auf einem niedrigen Tischchen lagen ein paar Ausgaben von Famiglia Cristiana und ein paar Überweisungsformulare zum gefälligen Gebrauch für jedermann, der sich zu einer Spende für Primavera Missionaria veranlaßt sehen könnte. Brunetti ignorierte die Zeitschriften, die Bildnisse und die Sessel. Er blieb in der Mitte des Zimmers stehen, vollkommen klar im Kopf, und wartete auf das Erscheinen des Pfarrers.
Wenige Minuten später ging die Tür auf, und ein großer, dünner Mann trat ein. Durch das lange Gewand und den hohen Kragen seines Amtes wirkte er noch größer, als er war, und dieser Eindruck wurde verstärkt durch seine aufrechte Haltung und den langbeinigen Gang.
»Ja, mein Sohn?« sagte er im Eintreten. Er hatte dunkelgraue Augen, von denen Lachfältchen nach allen Richtungen abstrahlten. Sein Mund war breit, sein Lächeln lud dazu ein, sich ihm nur ruhig anzuvertrauen. Lächelnd kam er auf Brunetti zu und bot ihm brüderlich die Hand.
»Luciano Benevento?« fragte Brunetti, die Hände an den Seiten.
»Don Luciano Benevento«, korrigierte er mit sanftem Lächeln.
»Ich bin hier, um mit Ihnen über Ihre neue Aufgabe zu sprechen«, sagte Brunetti, nach wie vor nicht willens, den Mann mit seinem geistlichen Titel anzureden.
»Ich fürchte, das verstehe ich nicht. Was für eine neue Aufgabe?« Benevento schüttelte den Kopf.
Brunetti zog einen langen weißen Umschlag aus der Innentasche seines Jacketts und überreichte ihn wortlos.
Der Priester nahm ihn, warf einen Blick darauf und sah seinen Namen auf der Vorderseite stehen, zu seiner Beruhigung sogar mit seinem Titel. Er öffnete ihn, blickte zu dem schweigenden Brunetti auf und zog ein Blatt Papier heraus, das er ein Stückchen von sich abhielt, um zu lesen, was darauf geschrieben stand. Als er fertig war, sah er zuerst Brunetti und dann wieder den Brief an, den er ein zweites Mal las.
»Das verstehe ich nicht«, sagte er. Er ließ die rechte Hand, die den Brief hielt, sinken.
»Ich finde, das ist doch eindeutig.«
»Aber ich verstehe es nicht. Wie kann man mich versetzen? Dazu muß ich gefragt und mein Einverständnis eingeholt werden, bevor man so etwas macht.«
»Ich glaube nicht, daß irgend jemand sich für Ihre Wünsche interessiert, jedenfalls nicht mehr.«
»Aber ich bin seit dreiundzwanzig Jahren Priester. Natürlich muß man mich anhören. Das kann man doch nicht einfach mit mir machen, mich wegschicken und nicht einmal sagen, wohin.« Der Priester wedelte zornig mit dem Brief durch die Luft. »Hier steht nicht drin, in welche Pfarrei ich versetzt werden soll, nicht einmal, in welche Provinz. Man gibt mir nicht den kleinsten Hinweis auf meinen künftigen Verbleib.« Er hob den Arm wieder und streckte Brunetti den Brief entgegen. »Sehen Sie sich das an. Die schreiben nur, daß ich versetzt werde. Das könnte
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