Brunetti 06 - Sanft entschlafen
Schlimmen uns auffallen. Und dann verallgemeinern wir das.«
»Ich dachte immer, du haßt sie«, sagte Brunetti.
»Wen? Priester?«
Sie lächelte. »Kann sein, daß es so klingt, wenn ich wütend bin. Aber eigentlich hasse ich sie gar nicht. Ich hasse nur Tyrannen. Und geistliche Tyrannen sind die schlimmsten, die feigsten. Aber Priester an sich, nein. Es gibt zu viele gute darunter.«
Brunetti nickte. »Hoffentlich. Was machen wir jetzt, einen Brief schreiben?« »Ja.«
»Müssen wir einen Grund angeben?«
»Das glaube ich nicht. Wir schreiben nur, daß sie mehr Zeit für die anderen Fächer braucht.« »Und damit hat sich's schon?« Paola nickte. »Damit hat sich's schon.«
13
D a er das Thema Religion offenbar ebensowenig aus seinem Privatleben wie aus seinem Beruf heraushalten konnte, widmete Brunetti sich an diesem Abend der Lektüre der alten Kirchenväter, ein Zeitvertreib, der ihm wenig lag. Beim ersten Buch faßte er sofort eine Abneigung gegen das Pathos des Verfassers, weshalb er sich das nächste vornahm. Doch darin stieß er auf einen Absatz, in dem es hieß, daß »... der Mann, welcher, von unmäßiger Liebe hingerissen und zur Befriedigung seiner Leidenschaft, mit seiner Frau so inbrünstigen Verkehr pflegt, daß er, wäre sie nicht seine Frau, dennoch den Wunsch haben würde, ihr beizuwohnen, eine Sünde begeht«.
Brunetti nahm den Blick von dem Buch. »Beiwohnen?« fragte er laut und schreckte damit Paola auf, die neben ihm saß und über den Notizen für ihren morgigen Unterricht schon halb eingeschlafen war.
»Hmm?« machte sie fragend.
»Lassen wir solche Leute wirklich unsere Kinder erziehen?« fragte er und las ihr die Stelle vor.
Er fühlte ihr Achselzucken mehr, als daß er es sah. »Was soll das bedeuten?« fragte er dann.
»Es bedeutet, wenn du einen auf Diät setzt, denkt er von da an nur noch ans Essen. Oder wenn du einem das Rauchen verbietest, hat er nur noch Zigaretten im Sinn. Daraus folgt für mich logisch, daß einer, dem man den Sex verbietet, von dem Thema regelrecht besessen sein wird. Wenn du ihm dann noch die Macht gibst, anderen vorzuschreiben, wie sie ihr Sexualleben zu gestalten haben, also, dann ist der Ärger doch vorprogrammiert. Das ist ungefähr so, als wollte man Helen Keller Kunstgeschichte lehren lassen, meinst du nicht?«
»Warum hast du mir von alldem noch nie etwas gesagt?« fragte er.
»Wir haben ein Abkommen. Ich habe versprochen, mich nie in die religiöse Erziehung der Kinder einzumischen.«
»Aber das ist doch Irrsinn«, rief er und klatschte mit der Hand auf das offene Buch.
»Natürlich ist es Irrsinn«, antwortete sie vollkommen ruhig. »Aber ist es größerer Irrsinn als das meiste, was sie so zu sehen bekommen oder lesen?«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Sexclubs, Kinderpornos, Telefonsex. Was du willst. Es ist nur die Kehrseite dessen, was dieser Fanatiker da geschrieben hat«, meinte sie, wobei sie wegwerfend auf das Buch in Brunettis Händen deutete. »In beiden Fällen wird Sex zur Obsession, entweder weil man nicht darf, oder weil man nicht genug davon kriegen kann.« Sie wandte sich wieder ihren Notizen zu.
»Aber«, begann Brunetti nach kurzem Überlegen, wartete, bis sie aufsah, und als er sich ihrer Aufmerksamkeit sicher glaubte, fragte er: »Aber erzählen die ihnen wirklich solche Sachen?«
»Wie gesagt, Guido, das überlasse ich alles dir. Du warst der Meinung, sie müßten - wenn ich mich richtig an deine wörtliche Formulierung erinnere - ›die abendländische Kultur erfahren‹ Also bitte, der Mensch, von dem dieser besonders bösartige Satz stammt, ist Teil der abendländischen Kultur.«
»Aber so was können die doch nicht den Kindern beibringen«, beharrte er.
Paola zuckte die Achseln. »Frag Chiara«, sagte sie und beugte sich wieder über ihre Notizen.
Brunetti, mit seinem Zorn allein gelassen, legte das Buch weg und nahm ein anderes von dem Stapel neben dem Sofa. Er machte es sich mit Josephus' Geschichte des jüdischen Krieges bequem und war gerade bei Kaiser Vespasians Belagerung von Jerusalem, als das Telefon klingelte.
Er griff über das Tischchen, das neben ihm stand, und nahm den Hörer ab. »Pronto«, sagte er.
»Commissario? Hier Miotti.«
»Ja, Miotti, was gibt's?«
»Ich dachte, ich sollte Sie lieber anrufen, Commissario.«
»Warum, Miotti?«
»Einer von den Leuten, bei denen Sie und Vianello waren, ist tot, Commissario. Ich bin jetzt dort.«
»Wer ist es?«
»Signor da Pre.«
»Was
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