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Brunetti 07 - Nobiltà

Brunetti 07 - Nobiltà

Titel: Brunetti 07 - Nobiltà Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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schon das Wort machte ihn verlegen. Aber konnte dies ein Anzeichen dafür sein, dass so etwas vorging? Hatte man da nicht Hitzewallungen? Seltsame Anfälle von Heißhunger?
    Er ertappte sich dabei, dass er hoffte, es wäre etwas in dieser Art, etwas Körperliches, wofür er in keiner Weise verantwortlich war und wogegen er nichts tun konnte. Als er noch ein Schuljunge war, hatte der Priester, der ihnen Religionsunterricht erteilte, ihnen gesagt, man müsse vor der Beichte unbedingt sein Gewissen erforschen. Man könne, so der Priester, sowohl durch Tun als auch durch Unterlassen sündigen, aber schon damals hatte Brunetti Schwierigkeiten mit der Unterscheidung gehabt. Jetzt, als erwachsener Mann, konnte er den Unterschied noch schwerer fassen.
    Er überlegte, ob er Paola vielleicht Blumen mitbringen, sie zum Essen ausführen, sich nach ihrer Arbeit erkundigen solle. Aber noch während er darüber nachdachte, begriff er, wie durchschaubar solche Gesten waren, auch für ihn. Wenn er den Grund für ihr Unglücklichsein wüsste, könnte er vielleicht etwas dagegen unternehmen.
    Mit häuslichen Dingen hatte es bestimmt nichts zu tun, denn in den eigenen vier Wanden nahm sie kein Blatt vor den Mund. Also die Arbeit, und nach allem, was Paola ihm im Lauf der Jahre erzählt hatte, konnte er sich keinen intelligenten Menschen vorstellen, den die byzantinische Politik der Universität nicht zur Verzweiflung bringen würde. Aber normalerweise machte sie das nur wütend, und niemand stürzte sich genüsslicher in den Kampf als Paola. Und doch hatte der Conte gesagt, sie sei unglücklich.
    Brunettis Gedanken wanderten von Paolas Glück zu seinem eigenen, und er stellte überrascht fest, dass er noch nie darüber nachgedacht hatte, ob er glücklich war oder nicht.
    Er liebte seine Frau, war stolz auf seine Kinder und machte seine Arbeit gut, wozu also über Glück nachdenken, und woraus konnte Glück sonst noch bestehen? Er hatte tagtäglich mit Menschen zu tun, die sich für unglücklich hielten und zudem glaubten, durch irgendein Verbrechen - Diebstahl, Mord, Betrug, Erpressung, sogar Menschenraub - den Zaubertrank zu finden, der ihr vermeintliches Elend in jenen heiß ersehnten Zustand verwandeln würde: Glück. Nur allzuoft war Brunetti gezwungen, sich mit den Folgen solcher Verbrechen zu befassen, und was er da sah, war häufig die Zerstörung allen Glücks.
    Paola klagte oft darüber, dass niemand an der Universität ihr zuhörte, dass überhaupt kaum jemand einem anderen zuhörte, doch Brunetti hatte sich selbst nie zu den so Beschuldigten gezählt. Aber hörte er ihr zu? War er mit den Gedanken anwesend, wenn sie sich über das jäh sinkende Leistungsniveau ihrer Studenten und den schamlosen Eigennutz ihrer Kollegen ausließ? Kaum hatte er sich das gefragt, als sich der Gedanke einschlich: Hörte sie denn ihm zu, wenn er sich über Patta oder die vielfältigen Unzulänglichkeiten beklagte, die seinen Alltag bestimmten? Und die Folgen dessen, was er beobachtete, waren doch sicher viel ernster zu nehmen, als wenn ein Student nicht wüsste, wer I promessi sposi geschrieben hatte, oder wer Aristoteles war.
    Plötzlich angewidert von der Unsinnigkeit all dieser Überlegungen stand er auf und trat ans Fenster. Unten hatte Bonsuans Boot angelegt, aber der Bootsführer selbst war nirgends zu sehen.
    Brunetti wusste, dass seine Weigerung, Tenente Scarpa zur Beförderung vorzuschlagen, Bonsuan die Beförderung gekostet hatte, aber da er fast sicher war, dass Scarpa eine Zeugin verraten und ihren Tod verschuldet hatte, fiel es ihm schwer, sich mit diesem Mann auch nur im selben Raum aufzuhalten, erst recht aber konnte er ihm nicht schriftlich geben, dass er sein Verhalten guthieß.
    Er bedauerte, dass Bonsuan nun den Preis für die Verachtung zahlen mußte, die er für Scarpa empfand, aber er wusste nicht, was er dagegen tun konnte.
    Wieder dachte er an Paola, aber er schob den Gedanken von sich und wandte sich vom Fenster ab, um nach unten zu Signorina Elettra zu gehen.
    »Signorina«, sagte er beim Eintreten, »ich glaube, es ist an der Zeit, den Fall Lorenzoni noch einmal unter die Lupe zu nehmen.«
    »Dann war er es also?« fragte sie und sah von ihrer Tastatur auf.
    »Ich denke ja, aber ich erwarte noch einen Anruf von Vianello. Er überprüft die zahnärztlichen Unterlagen.«
    »Die arme Mutter«, sagte Elettra und fügte nach einer kurzen Pause hinzu, »ob sie wohl fromm ist?«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Frömmigkeit kann

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