Brunetti 07 - Nobiltà
schloss auf und blieb im Flur stehen, um zu lauschen, ob er alle drei orten konnte, ob sie sicher und geborgen waren zwischen den vier Wänden, die er ihnen bot. Aus der Küche hörte er ein blechernes Klappern, als etwas auf den Boden fiel, dann Paolas Stimme: »Ist nicht schlimm, Chiara. Spül ihn einfach ab und leg ihn wieder auf den Topf.«
Er richtete seine Aufmerksamkeit auf den hinteren Teil der Wohnung, Raffis Zimmer, und vernahm von dort diese schrecklichen lauten Geräusche, die junge Leute als Musik bezeichnen. Und nie hatte ihm eine Melodie, auch wenn hier keine zu erkennen war, süßer geklungen.
Er hängte seinen Mantel in den Schrank und ging durch den langen Flur zur Küche. Chiara drehte sich zu ihm um, als er hereinkam.
»Ciao, papà. Mamma bringt mir gerade bei, wie man Ravioli macht. Wir essen sie heute abend.« Sie legte ihre mehlbestäubten Hände hinter den Rücken und kam ihm ein paar Schritte entgegen. Er bückte sich, und sie küsste ihn auf beide Wangen; er wischte ihr eine lange Mehlspur von der linken Backe. »Gefüllt mit funghi, nicht wahr, mamma?« fragte sie, an Paola gewandt, die am Herd stand und in einer großen Pfanne die Pilze anbriet. Paola nickte und rührte weiter.
Hinter ihnen auf dem Tisch lägen ein paar schiefe Stapel seltsam geformter, blasser Rechtecke. »Sind das die Ravioli?« fragte er, wobei er an die makellosen Quadrate denken musste, die seine Mutter immer geschnitten und gefüllt hatte.
»Sie werden es, papà, sobald wir sie gefüllt haben.«
Sie wandte sich zur Bestätigung an Paola. »Nicht wahr, mamma?«
Paola rührte und nickte, drehte sich zu Brunetti um und nahm kommentarlos seine Begrüßungsküsse entgegen.
»Nicht wahr, mamma?« wiederholte Chiara etwas schriller.
»Ja, sicher. Die Pilze brauchen noch ein paar Minuten, dann können wir mit dem Füllen anfangen.«
»Du hast gesagt, ich kann das ganz allein, mamma«, beharrte Chiara.
Bevor Chiara ihren Vater zum Zeugen des Unrechts aufrufen konnte, das ihr geschehen sollte, gab Paola nach. »Wenn dein Vater mir ein Glas Wein einschenkt, solange die Pilze noch schmoren, einverstanden?«
»Soll ich dir beim Füllen helfen?« fragte Brunetti halb im Scherz.
»Ach, papà, sei nicht albern. Du weißt doch, was du für eine Sauerei veranstalten würdest.«
»Sprich nicht so zu deinem Vater«, sagte Paola.
»Wie?«
»So.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Du verstehst ganz genau.«
»Weiß oder rot, Paola?« unterbrach Brunetti. Er ging an Chiara vorbei, und als er sah, dass Paola sich wieder zum Herd umgedreht hatte, kniff er die Augen zusammen und schüttelte, mit der Kinnspitze auf Paola deutend, ganz leicht den Kopf.
Chiara schürzte die Lippen und zuckte die Achseln, nickte dann aber. »Na gut, papà, wenn du unbedingt willst, kannst du helfen.« Und nach einer langen, missmutigen Pause: »Mamma auch, wenn sie will.«
»Rot«, sagte Paola, während sie weiter die Pilze in der Pfanne umherschob.
Brunetti ging zu dem Schrank unter der Spüle und bückte sich. »Cabernet?« fragte er.
»Mhm«, machte Paola zustimmend.
Er öffnete die Flasche und goss Wein in zwei Gläser. Als sie die Hand danach ausstreckte, fasste er sie und drückte sie an seine Lippen. Paola sah ihn überrascht an. »Was soll denn das?« fragte sie.
»Nur, weil ich dich von ganzem Herzen liebe«, sagte er und gab ihr endlich das Glas.
»Oh, papà« stöhnte Chiara. »So was sagen doch nur die Leute im Kino.«
»Wie du weißt, geht dein Vater nie ins Kino«, bemerkte Paola.
»Dann hat er es in einem Buch gelesen«, meinte Chiara, schon nicht mehr interessiert an dem, was die Erwachsenen da miteinander zu reden hatten. »Sind die Pilze jetzt fertig?«
Paola, der die Ablenkung durch ihre ungeduldige Tochter offenbar gerade recht kam, antwortete; »Gleich. Aber du musst noch warten bis sie abgekühlt sind.«
»Und wie lange dauert das?«
»Zehn Minuten, oder fünfzehn.«
Brunetti stand mit dem Rücken zu den beiden und blickte aus dem Fenster zu den Bergen nördlich von Venedig.
»Kann ich dann solange was anderes machen?«
»Natürlich.«
Er hörte Chiara aus der Küche und über den Flur zu ihrem Zimmer gehen.
»Warum hast du das eben gesagt?« fragte Paola, als sie allein waren.
»Weil es wahr ist«, erklärte Brunetti, den Blick noch immer in die Ferne gerichtet.
»Aber warum sagst du es gerade jetzt?«
»Weil ich es sonst nie sage.« Er nippte an seinem Wein. Fast hätte er gefragt, ob sie es nicht glaube
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