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Brunetti 07 - Nobiltà

Brunetti 07 - Nobiltà

Titel: Brunetti 07 - Nobiltà Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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gefragt, wie sie sich die Hand gebrochen hatte.«
    »Und sie hat ihm diese Geschichte erzählt?«
    »Er hat es jedenfalls so wiedergegeben. Er hatte wohl den Eindruck, dass es die Wahrheit war.«
    »Hat sie auf Schadenersatz geklagt, oder Schmerzensgeld gefordert?«
    »Nicht dass ich wüsste« »Kennen Sie ihren Namen?« »Nein, aber ich kann Barbaras Freund danach fragen.«
    »Tun Sie das bitte«, bat Brunetti.
    »Und sehen Sie zu, was Sie sonst noch über die Familie herausfinden können.«
    »Nur Kriminelles, Commissario?«
    Brunetti wollte schon ja sagen, aber dann dachte er an diesen offenkundigen Widerspruch bei Maurizio, der zuerst wütend geworden sein sollte, als eine Frau seine Einladung ausschlug, und dann den Tränen nah war, als er ihre gebrochene Hand sah. Das machte ihn neugierig darauf, was es in der Familie Lorenzoni sonst noch an Widersprüchlichem geben mochte.
    »Nein, sehen wir einfach mal, was wir noch alles über sie erfahren können.«
    »Gut, Dottore«, sagte sie, drehte ihren Stuhl, und schon lagen ihre Hände auf der Tastatur. »Ich fange bei Interpol an und sehe dann mal nach, was Il Gazzettino zu bieten hat.«
    Brunetti nickte zu dem Computer hinüber. »Und das können Sie wirklich damit machen, statt Telefon?«
    Sie warf ihm einen unendlich geduldigen Blick zu, etwa wie früher sein Chemielehrer nach jedem missglückten Experiment. »Übers Telefon kriegt man heutzutage nur noch obszöne Anrufe.«
    »Und alle anderen Leute benutzen das da?« fragte er und deutete auf das kleine Kästchen auf ihrem Schreibtisch.
    »Das nennt man ein Modem, Commissario.«
    »Ach ja, ich erinnere mich. Gut, dann sehen Sie mal, was es Ihnen über die Lorenzonis sagen kann.«
    Bevor Signorina Elettra, wieder einmal entsetzt über seine Unwissenheit, ihm auch nur ansatzweise erklären konnte, was ein Modem war und wie es funktionierte, drehte Brunetti sich um und verließ ihr Büro. Beide betrachteten seinen eiligen Abgang nicht als eine verpasste Gelegenheit zur Mehrung menschlichen Wissens.

11
    Schon vom Gang aus hörte er das Telefon klingeln und eilte im Laufschritt in sein Zimmer, um den Hörer abzunehmen. Noch bevor Brunetti sich melden konnte, sagte Vianello: »Es ist Lorenzoni.«
    »Die Röntgenaufnahmen stimmen also überein?«
    »Ja, genau.«
    Obwohl Brunetti nichts anderes erwartet hatte, merkte er, dass er sich auf die Gewissheit erst einmal einstellen musste Es war eine Sache, jemandem mitzuteilen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit die Leiche seines Vetters gefunden worden war; aber es war etwas völlig anderes, Eltern sagen zu müssen, dass ihr einziges Kind tot war. Ihr einziger Sohn.
    »Gesù pietà« flüsterte er, dann fragte er etwas lauter: »Hat der Zahnarzt sonst noch etwas über den Jungen gesagt?«
    »Nicht direkt, aber er schien traurig über seinen Tod zu sein. Ich würde sagen, er hat ihn gern gehabt.« »Wie kommen Sie darauf?« »Durch den Ton, wie er von ihm sprach. Schließlich war der Junge seit seinem elften Lebensjahr bei ihm Patient. Der Zahnarzt hat ihn gewissermaßen aufwachsen sehen.« Als Brunetti nichts weiter sagte, erkundigte Vianello sich: »Soll ich ihn noch irgend etwas fragen? Ich bin noch in der Praxis.«
    »Nein, nicht nötig, Vianello. Kommen Sie lieber hierher zurück. Ich möchte, dass Sie morgen früh nach Belluno fahren und vorher die ganze Akte durchlesen.«
    »In Ordnung, Commissario«, sagte Vianello und legte ohne weitere Fragen auf.
    Einundzwanzig Jahre alt und tot, mit einer Kugel im Kopf. Mit einundzwanzig ist das Leben noch nicht gelebt, es hat noch nicht einmal richtig angefangen; der Mensch, der einmal aus dem Kokon der lugend schlüpfen wird, liegt noch im Schlaf. Und dieser Junge war tot. Brunetti dachte an den immensen Reichtum seines Schwiegervaters und dass es ebenso gut dessen einziger Enkel, Raffi, hätte sein können, der entführt und ermordet worden war. Oder seine Enkelin. Dieser Gedanke trieb ihn aus seinem Zimmer, hinaus aus der Questura und nach Hause, erfüllt von einer irrationalen Angst um die Sicherheit seiner Familie: Wie der Heilige Thomas konnte er nur glauben, was seine Hände berührten.
    Obwohl er sich nicht bewusst war, die Treppen schneller als sonst hinaufgestiegen zu sein, kam er auf dem letzten Treppenabsatz so außer Atem an, dass er sich eine Weile an die Wand lehnen musste, um wieder Luft zu bekommen. Endlich stieß er sich ab und ging die restlichen Stufen hinauf, wobei er schon seine Schlüssel herauskramte. Er

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