Brunetti 07 - Nobiltà
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Brunetti beugte sich vor. Nein, sie rochen nach gar nichts, höchstens ganz schwach nach Grünzeug.
Bevor er aber etwas dazu sagen konnte, fragte hinter ihnen eine Stimme: »Ist das eine neue Ermittlungstechnik, Commissario?«
Tenente Scarpas Stimme schnurrte vor Neugier. Als Brunetti sich aufrichtete und zu ihm umdrehte, sah er in eine Maske respektvoller Aufmerksamkeit.
»Ja, Tenente«, antwortete er. »Signorina Elettra hat mir gerade erklärt, dass man wegen ihres schönen Aussehens nur schwer feststellen kann, ob sie innerlich verfault sind. Man muß also daran riechen. Dann weiß man es.«
»Und, sind sie innerlich verfault?« fragte Scarpa scheinbar interessiert.
»Noch nicht«, mischte sich Signorina Elettra ein, während sie an dem Tenente vorbei wieder zu ihrem Schreibtisch ging. Ein paar Schritte vor ihm blieb sie stehen und betrachtete seine Uniform von oben bis unten. »Bei Blumen läßt es sich schwerer sagen.«
Sie setzte sich und fragte mit einem Lächeln, das so falsch war wie seines: »Wollten Sie etwas, Tenente?«
»Der Vice-Questore hat mich heraufgebeten«, antwortete er mit kaum verhohlener Wut.
»Dann gehen Sie nur hinein«, sagte sie und zeigte auf Pattas Zimmer. Scarpa ging wortlos an Brunetti vorbei, klopfte einmal an und trat ohne Aufforderung ein.
Brunetti wartete, bis die Tür wieder zu war, bevor er sagte: »Sie sollten sich vor ihm in acht nehmen.«
»Vor dem?« versetzte sie, ohne ihre Verachtung zu verbergen.
»Ja, vor ihm«, wiederholte Brunetti. »Er hat das Ohr des Vice-Questore.«
Sie griff nach einem braunen, in Leder gebundenen Notizbuch. »Und ich habe seinen Terminkalender. Das gleicht sich aus.«
»Da wäre ich nicht so sicher«, beharrte Brunetti. »Er könnte gefährlich werden.«
»Nehmen Sie ihm die Waffe ab, und er ist nichts anderes als ein terrone maleducato!«
Brunetti wusste nicht, ob es richtig von ihm war, Respektlosigkeit gegenüber dem Rang des Tenente sowie rassistische Bemerkungen über seinen Herkunftsort zu dulden. Dann fiel ihm aber wieder ein, von wem die Rede war, und er ließ es durchgehen. »Haben Sie eigentlich mit dem Bruder Ihres Freundes über Roberto Lorenzoni gesprochen, Signorina?«
»Ja, Dottore. Entschuldigen Sie, aber ich habe ganz vergessen, es Ihnen zu sagen.«
Brunetti fand es interessant, dass ihr das offenbar mehr Kummer bereitete als ihre Bemerkungen über Tenente Scarpa. »Was hat er denn gesagt?«
»Nicht sehr viel. Vielleicht habe ich es darum vergessen. Er meinte nur, dass Roberto faul und verwöhnt war und in der Schule immer bei anderen, abgeschrieben hat.«
»Sonst nichts?«
»Nur noch, dass Roberto sich immer wieder in Schwierigkeiten gebracht hat, weil er es nicht lassen konnte, seine Nase in anderer Leute Dinge zu stecken - also bei Mitschülern zu Hause Schubladen öffnete und in ihren Sachen wühlte.
Edoardo hat das fast mit einem gewissen Stolz erzählt. Roberto hat sich sogar einmal in der Schule einschließen lassen und sich dann die Schreibtische aller Lehrer vorgenommen.«
»Warum denn das? Um etwas zu stehlen?«
»Nein, nein. Er wollte nur sehen, was sie so hatten.«
»Und hatten die beiden noch Verbindung miteinander, als Roberto entführt wurde?«
»Nein, nicht direkt. Edoardo war da gerade beim Militär. In Modena: Er sagt, sie hätten sich schon seit über einem Jahr nicht mehr gesehen gehabt, als es passierte. Aber er konnte ihn gut leiden, sagt er.«
Brunetti hatte zwar noch keine Ahnung, was er mit diesen Informationen anfangen sollte, dankte aber Signorina Elettra, verkniff es sich, sie noch einmal vor Tenente Scarpa zu warnen, und ging wieder in sein Zimmer hinauf.
Er sah die Briefe und Berichte auf seinem Schreibtisch an und schob sie beiseite. Dann setzte er sich, zog mit der rechten Schuhspitze die unterste Schublade ein Stückchen heraus und legte die Füße darauf. Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte an die Wand über seinem Garderobenschrank.
Er versuchte so etwas wie Mitgefühl für Roberto in sich zu wecken, und erst als er sich ausmalte, wie der Junge sich in der Schule hatte einschließen lassen, um in den Schubladen seiner Lehrer zu wühlen, konnte er sich endlich so etwas wie ein Bild von dem Toten machen.
Es brauchte nichts weiter als dieses Wissen um eine unerklärliche menschliche Schwäche, 'damit er endlich jenes tiefe Mitleid mit dem Ermordeten empfinden konnte, das einen so großen Teil seines Leben ausmachte. Er dachte an die vielen Dinge,
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