Brunetti 07 - Nobiltà
dringen.
»Einmal haben sie ihn - ich meine Roberto - nach Paris geschickt. Ich glaube, es war Paris. Eine große Stadt jedenfalls, wo die Lorenzonis irgendein Geschäft laufen hatten. Ich habe nie richtig begriffen, was da eigentlich genau passiert ist, aber Roberto muss ein Päckchen oder so was aufgemacht haben, oder er hat gesehen, was in einem Vertrag stand und mit jemandem darüber gesprochen, der das nicht hätte wissen dürfen. Jedenfalls ist aus dem Geschäft dann nichts geworden.«
Sie blickte kurz zu Brunetti und sah die Enttäuschung in seinem Gesicht. »Ich weiß, ich weiß, das klingt nicht sehr interessant, aber Maurizio war richtig sauer, als das passierte.« Sie wägte ihre nächste Bemerkung kurz ab, sprach dann aber doch weiter. »Und er kann ziemlich wütend werden.«
»Ihre Hand?« fragte Brunetti.
»Nein«, antwortete sie, ohne zu zögern. »Das war wirklich, ein Unfall. Das wollte er nicht. Sie können mir glauben, wenn er es absichtlich getan hätte, wäre ich am nächsten Morgen vom Krankenhaus direkt zur Polizei gegangen.« Sie griff mit der fraglichen Hand wieder nach einem Pelz und schob ihn zurecht. »Er schreit nur herum, wenn er wütend wird. Ich habe nie erlebt, dass er etwas getan hätte. Aber man kann in dieser Stimmung einfach nicht mit ihm reden; da ist er auf einmal ein völlig anderer.«
»Und wenn er kein anderer ist, wie ist er dann?«
»Ein Streber ist er. Darum habe ich auch mit ihm Schluss gemacht. Dauernd hat er angerufen und gesagt, er hätte noch zu tun, oder wir mussten Leute zum Essen ausführen, Geschäftsfreunde. Und dann ist das passiert«, sagte sie, wobei sie wieder die Hand hob, »und da habe ich ihm gesagt, ich wollte nicht mehr.«
»Wie hat er das aufgenommen?«
»Ich glaube, er war erleichtert, besonders nachdem ich ihm gesagt hatte, dass ich trotzdem diese Erklärung für seine Anwälte unterschreiben würde.«
»Haben Sie seitdem wieder mal von ihm gehört?«
»Nein. Ich sehe ihn manchmal auf der Straße, wie das hier eben so ist, und wir grüßen uns. Aber wir unterhalten uns nicht, höchstens ein ›Wie geht's‹ oder so.«
Brunetti zog noch einmal die Brieftasche heraus Und entnahm ihr eine seiner Karten. »Wenn Ihnen noch irgend etwas einfällt, Signorina, rufen Sie mich dann bitte in der Questura an.«
Sie nahm die Karte und steckte sie in die Tasche ihrer braunen Jacke. »Natürlich«, sagte sie gleichgültig und er hatte seine Zweifel, ob die Karte den Nachmittag überleben würde. Er gab ihr die Hand und suchte sich zwischen den Pelzen einen Weg zur Treppe.
Während er dem Ausgang zu strebte, überlegte er, wie viele unversteuerte Millionen man ihr wohl für die Unterschrift auf dieser Erklärung gegeben hatte. Aber Steuerhinterziehung war, wie er sich nur zu oft vorhalten musste, nicht sein Ressort.
19
Als Brunetti nach dem Mittagessen in die Questura zurückkam, sagte ihm die Wache an der Tür, ViceQuestore Patta habe nach ihm gefragt. Weil er befürchtete, es könnte womöglich der Nachhall von Signorina Elettras Verhalten gegenüber Tenente Scarpa sein, ging er gleich hinauf. Falls Scarpa etwas gesagt hatte, merkte man aber nichts davon, denn Brunetti traf Patta in ungewöhnlich freundlicher Stimmung an. Er war augenblicklich auf der Hut.
»Haben Sie schon Fortschritte im Mordfall Lorenzoni gemacht, Brunetti?« fragte Patta, nachdem Brunetti seinen Platz vor dem Schreibtisch des ViceQuestore eingenommen hatte.
»Nein, noch nicht, Vice-Questore, aber ich habe eine Reihe interessanter Hinweise.« Diese wohlüberlegte Lüge sollte den Eindruck erwecken, dass zwar genug geschah, um ihn auf Trab zu halten, aber noch keine Erfolge vorlagen, die Patta zu Nachfragen ermuntern könnten.
»Gut, gut«, murmelte Patta, woraus Brunetti schloss, dass er nicht im mindesten an den Lorenzonis interessiert war. Er fragte nicht nach; lange Erfahrung hatte Brunetti gelehrt, dass Patta sich Neuigkeiten gern wie Würmer aus der Nase ziehen ließ, statt geradewegs damit herauszurücken. Brunetti hatte nicht vor, ihm entgegenzukommen.
»Es geht um diese Sendung, Brunetti«, sagte Patta endlich.
»Ja, Vice-Questore?« fragte Brunetti höflich.
»Die RAI über die Polizei macht.«
Brunetti erinnerte sich dunkel an irgend so eine geplante Sendung über die Polizei, die in einem Filmstudio in Padua produziert werden sollte. Er hatte vor einigen Wochen einen Brief bekommen, in dem er gefragt worden war, ob er bereit sei, als Berater zu fungieren, oder
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