Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
Augen beleidigt, und ihre kleinen Gesichter waren durch irgendwelche Computermanipulationen unkenntlich gemacht worden.
Er hatte die Interpol-Berichte zu diesem Thema gelesen und gesehen, daß die geschätzten Zahlen der Beteiligten, sowohl der Kunden wie der Opfer - ein anderes Wort fiel ihm dafür nicht ein -, um etwa eine halbe Million schwankten. Er hatte diese Zahlen gelesen, und etwas in ihm hatte sich immer für die niedrigsten entschieden; an die höchsten zu glauben hätte sein Menschsein zu sehr beschmutzt.
Der jüngste dieser Artikel - soviel Brunetti wußte, hatte er in Panorama gestanden - war der Auslöser für Paolas flammende Wut gewesen. Die erste Salve hatte er vor zwei Wochen vernommen, als Paola plötzlich von hinten aus der Wohnung »Bastardi!« geschrien und unvermittelt den Sonntagsfrieden zerstört hatte; mehr als den Sonntagsfrieden, wie Brunetti jetzt fürchtete.
Er hatte sich nicht erst in ihr Arbeitszimmer begeben müssen, denn sie war ins Wohnzimmer gerannt gekommen, die zusammengerollte Zeitschrift in der rechten Hand. Ohne Einleitung hatte sie gerufen: »Hör dir das an, Guido!«
Paola hatte die Zeitschrift auseinandergefaltet, das Blatt auf ihrem Knie glattgestrichen, sich wieder aufgerichtet und vorgelesen: »›Ein Pädophiler ist, wie schon das Wort sagt, zweifelsohne jemand, der Kinder liebt.‹« Hier hatte sie innegehalten und ihn angesehen.
»Und ein Vergewaltiger ist dann wohl jemand, der Frauen liebt?« hatte Brunetti gefragt.
»Kannst du das glauben?« hatte Paola sich ereifert, ohne auf seine Zwischenbemerkung einzugehen. »Eine der bekanntesten Zeitschriften des Landes - und weiß der Himmel, wie das zugeht - verbreitet solchen Mist!« Sie warf einen kurzen Blick auf das Blatt und fuhr fort: »Und dieser Mensch lehrt Soziologie. Mein Gott, haben diese Leute überhaupt kein Gewissen? Wann wird in diesem widerwärtigen Land endlich einmal jemand sagen, daß wir für unser Tun selbst verantwortlich sind, statt immer alles auf die Gesellschaft zu schieben oder auf das Opfer, zum Donnerwetter?«
Da Brunetti solche Fragen nie beantworten konnte, hatte er erst gar keine Anstalten gemacht. Statt dessen hatte er sich erkundigt, was sonst noch in dem Artikel stand.
Sie hatte es ihm gesagt, und daß sie dazu ihren Verstand zusammennehmen mußte, hatte ihren Zorn nicht im mindesten gedämpft. Wie bei jeder guten Reiseführung wurden in dem Artikel alle die berühmten Orte gestreift: Phnom Penh, Bangkok, Manila, und um dann der Heimat etwas näher zu kommen, wurden noch die kürzlich bekanntgewordenen Fälle in Belgien und Italien hervorgewürgt. Aber der Ton war es, der sie erzürnt und ihn, wie er zugeben mußte, angewidert hatte: Ausgehend von der ungeheuerlichen Prämisse, daß Pädophile Kinderfreunde seien, hatte der hauseigene Soziologe dieser Zeitschrift weiterhin erklärt, wie eine permissive Gesellschaft Männer zu solchen Dingen verleite. Ein Grund seien, so der Gelehrte, auch die ungeheuer verführerischen Reize von Kindern. Paola hatte vor Wut nicht mehr weiterlesen können.
»Sextourismus«, hatte sie gezischt und die Zähne dabei so fest zusammengepreßt, daß Brunetti die Sehnen an ihrem Hals vortreten sah. »Mein Gott, die bloße Vorstellung, daß die das einfach so machen können - sich ein Flugticket kaufen, eine Tour buchen und dann Zehnjährige vergewaltigen!« Sie hatte die Zeitschrift aufs Sofa geschleudert und war wieder in ihr Zimmer gegangen, aber am selben Abend hatte sie nach dem Essen zum erstenmal davon gesprochen, dieser Industrie das Handwerk zu legen.
Brunetti hatte zuerst an einen Scherz geglaubt, und jetzt im nachhinein fürchtete er, daß er mit seiner Weigerung, das ernst zu nehmen, sie womöglich erst zu diesem verhängnisvollen Schritt von der Empörung zur Tat getrieben hatte. Er erinnerte sich noch, wie er sie gefragt hatte - und zwar in ziemlich herablassendem Ton, soviel er wußte -, ob sie denn auf eigene Faust gegen dieses Geschäft vorgehen wolle.
»Und wenn es ungesetzlich ist?«
»Was ist ungesetzlich?«
»Steine in Schaufenster zu werfen, Paola.«
»Und zehnjährige Kinder zu vergewaltigen ist nicht ungesetzlich?«
Brunetti hatte das Gespräch an dieser Stelle abgebrochen, vor allem weil er, wie er im Rückblick zugeben mußte, keine Antwort für sie hatte. Nein, wie es aussah, war es in manchen Ländern der Erde nicht ungesetzlich, Zehnjährige zu vergewaltigen. Aber es war hier in Venedig, in Italien ungesetzlich, Steine
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