Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
habe.«
Brunetti schlug die Füße andersherum übereinander und drehte sich ein wenig nach rechts. »In Deutschland hat man die Gesetze geändert. Danach können jetzt Deutsche für etwas belangt werden, was sie in anderen Ländern tun.« »Ich weiß. Ich habe den Artikel gelesen«, erwiderte sie scharf.
»Und?«
»Und ein Mann hat ein paar Jahre Gefängnis bekommen. Toll, kann ich da nur sagen. Hunderttausende von Männern fliegen dort jedes Jahr hin. Einen davon ins Gefängnis zu stecken - ein wohlbeleuchtetes deutsches Gefängnis mit Fernsehen in der Zelle und wöchentlichen Besuchen der Ehefrau -, das wird nicht einen Mann davon abhalten, als Sextourist nach Thailand zu fliegen.«
»Aber was du vorhast, das wird sie abhalten?«
»Wenn da keine Flugzeuge mehr hinfliegen, wenn keiner mehr das Risiko eingehen will, solche Touren zu organisieren, mit Hotelzimmer und Vollpension und kundiger Führung zu den Bordellen, dann werden weniger es machen. Das bringt nicht viel, ich weiß, aber doch immerhin etwas.«
»Die Leute werden auf eigene Faust hinreisen.«
»Aber weniger.«
»Immer noch so einige. Immer noch sehr viele.«
»Wahrscheinlich.«
»Und warum machst du es dann?«
Sie schüttelte unwirsch den Kopf. »Vielleicht kannst du das nur nicht begreifen, weil du ein Mann bist.«
Zum erstenmal, seit er in ihr Arbeitszimmer gekommen war, begann Brunetti sich zu ärgern. »Was soll das bitte heißen?«
»Es soll heißen, daß Männer und Frauen eine verschiedene Sicht auf so etwas haben. Und immer haben werden.«
»Wieso?« Sein Ton war ruhig, aber beiden war klar, daß Zorn ins Zimmer geschlichen war und sich zwischen sie gestellt hatte.
»Weil ihr euch noch so bemühen könnt, euch vorzustellen, wie das ist, es wird immer nur eine theoretische Vorstellung sein. Dir kann so etwas nicht passieren, Guido. Du bist groß und stark, und Gewalt in irgendeiner Form ist dir von Kindesbeinen an vertraut: durch Fußball, Rangeleien mit anderen Jungen, in deinem Fall auch noch durch die Polizeiausbildung.«
Sie sah, wie seine Aufmerksamkeit ihr entglitt. Er hatte das schon so oft zu hören bekommen und nie geglaubt. Sie war überzeugt, daß er es nur nicht glauben wollte, doch das hatte sie nie laut gesagt. »Für uns Frauen verhält es sich anders«, fuhr sie fort. »Uns wird ein Leben lang beigebracht, uns vor Gewalt zu fürchten, ihr nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen. Und dennoch weiß jede Frau, daß alles, was diesen jungen Dingern in Kambodscha oder Thailand oder auf den Philippinen widerfährt, ebensogut ihr hätte widerfahren können oder immer noch widerfahren könnte. So einfach ist das, Guido: Ihr seid groß, wir sind klein.«
Er antwortete nicht, und sie fuhr fort: »Guido, wir reden über dieses Thema schon seit Jahren und waren nie wirklich einer Meinung. Das sind wir auch jetzt nicht.« Sie hielt kurz inne und fragte dann: »Bist du bereit, dir noch zweierlei anzuhören, bevor ich dir zuhöre?«
Brunetti hätte sich gern freundlich und aufgeschlossen gegeben und »Ja, natürlich« gesagt, aber er brachte nur ein gepreßtes »Ja« heraus.
»Denk an diesen widerlichen Artikel, den in der Zeitschrift. Das Blatt gilt als eine der Hauptinformationsquellen des Landes, und darin darf ein Soziologe - ich weiß nicht, an welcher Universität er lehrt, aber bestimmt an einer bedeutenden, also gilt er als Autorität, und die Leute glauben, was er schreibt -, er darf also darin schreiben, Pädophile seien Kinderfreunde. Und er darf das schreiben, weil es für Männer so praktisch ist, wenn alle das glauben. Und Männer regieren dieses Land.«
Nach einer kleinen Pause fuhr sie fort: »Ich bin mir nicht sicher, ob das etwas mit dem zu tun hat, worüber wir sprechen, aber ich glaube, ein anderer Grund für die Kluft, die uns trennt - nicht nur dich und mich, Guido, sondern alle Männer und alle Frauen -, ist der, daß die Vorstellung, Sex könne manchmal auch etwas Unangenehmes sein, für die meisten Männer undenkbar, für alle Frauen aber sehr real ist.« Als sie sah, daß er aufbegehren wollte, sagte sie: »Guido, es gibt keine Frau, die auch nur eine Sekunde lang glaubt, Pädophile liebten Kinder. Sie begehren sie oder wollen sie beherrschen, aber das hat beides nichts mit Liebe zu tun.«
Er hielt den Blick gesenkt; sie sah es, als sie zu ihm hinüberschaute. »Das war also das zweite, was ich dir sagen wollte, mein lieber Guido, den ich von ganzem Herzen liebe. So sehen wir Frauen es, die meisten
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