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Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti

Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti

Titel: Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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in Schaufenster zu werfen, und sein Beruf war es, dafür zu sorgen, daß die Leute so etwas nicht taten oder, wenn doch, dafür bestraft wurden.
    Der Zug fuhr in den Bahnhof ein und kam langsam zum Stehen. Viele der Aussteigenden hatten eingewickelte Blumengestecke bei sich, was Brunetti daran erinnerte, daß heute der 2. November war, Allerseelentag, an dem die meisten Leute auf die Friedhöfe gingen und Blumen auf die Gräber ihrer Angehörigen legten. Es war ein Zeichen seiner Niedergeschlagenheit, daß er den Gedanken an tote Angehörige als tröstliche Ablenkung empfand. Er selbst würde nicht hingehen; das tat er nur sehr selten.
    Brunetti beschloß, gleich nach Hause und nicht noch einmal in die Questura zu gehen. Augen, die nicht sehen, Ohren, die nicht hören: Er ging durch die Stadt, blind und taub für ihren Zauber, und ließ sich wieder und wieder alle die Gespräche und Auseinandersetzungen mit Paola durch den Kopf gehen, die durch ihren ersten großen Wutausbruch ausgelöst worden waren.
    Zu Paolas vielen Wunderlichkeiten gehörte die Angewohnheit, beim Zähneputzen, das sie sehr ausgiebig besorgte, in der Wohnung herumzulaufen. So war es ihm völlig normal vorgekommen, als sie vor drei Tagen abends mit der Zahnbürste in der Hand an der Schlafzimmertür erschienen war und ohne jede Einleitung gesagt hatte: »Ich tu's.«
    Brunetti hatte gewußt, was sie meinte, ihr aber nicht geglaubt und darum nur ganz kurz zu ihr aufgesehen und genickt. Damit war die Sache erledigt gewesen, wenigstens so lange, bis Rubertis Anruf ihm zuerst seinen Schlaf geraubt hatte und nun seinen Frieden störte.
    Er ging noch rasch in die pasticceria unweit seiner Wohnung und kaufte ein Tütchen fave, jene kleinen runden Mandelkekse, die es nur zu dieser Jahreszeit gab. Chiara war ganz versessen darauf. Dem Gedanken folgte rasch die Erkenntnis, daß dies für praktisch alles Eßbare galt, und damit die erste Erlösung von der Anspannung, unter der Brunetti seit letzter Nacht stand.
    In der Wohnung war es still, aber bei dem derzeit herrschenden Klima bedeutete das nicht viel. Paolas Mantel hing neben der Tür, daneben Chiaras, und auf dem Fußboden darunter lag Chiaras roter Wollschal. Brunetti hob ihn auf und legte ihn über den Mantel, zog dann den eigenen Mantel aus und hängte ihn rechts neben Chiaras. Wie die drei Bären, dachte er: Mama, Papa und der kleine Bär.
    Er öffnete die Papiertüte und schüttelte sich ein paar fave auf die Hand. Er steckte eine in den Mund, dann noch eine und schließlich noch zwei. Wie aus heiterem Himmel fiel ihm plötzlich ein, daß er sie vor Urzeiten auch für Paola gekauft hatte, als sie noch studierten und frisch verliebt waren.
    »Hast du es nicht langsam satt, daß die Leute jedesmal von Proust reden, wenn sie in einen Kuchen beißen?« hatte er sie gefragt, als wäre ihm ein offenes Fenster zu ihren Gedanken gewährt worden.
    Eine Stimme von hinten erschreckte ihn und riß ihn aus diesem Erinnerungstraum. »Krieg ich auch eine, papà?«
    »Sie sind ja für dich, Engelchen«, antwortete er und gab Chiara die Tüte.
    »Stört es dich, wenn ich nur die mit Schokolade esse?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ist deine Mutter in ihrem Arbeitszimmer?«
    »Willst du mit ihr streiten?« fragte sie zurück, die Hand über der offenen Tüte.
    »Wie kommst du darauf?« wollte er wissen.
    »Weil du immer ›deine Mutter‹ sagst, wenn du mit ihr streiten willst.«
    »Hm, wahrscheinlich hast du recht«, räumte er ein. »Also, ist sie da?«
    »Mhm«, antwortete sie. »Wird es ein großer Krach?«
    Brunetti zuckte die Achseln. Er hatte keine Ahnung.
    »Dann esse ich sie nämlich besser alle auf. Falls es ein großer Krach wird.«
    »Warum?«
    »Weil es dann erst spät Essen gibt. Das ist immer so.«
    Er griff in die Tüte und nahm sich noch ein paar fave, überließ ihr aber gewissenhaft die mit Schokolade. »Ich will versuchen, gar keinen Streit daraus zu machen.«
    »Gut.« Sie drehte sich um und ging zu ihrem Zimmer, die Kekstüte in der Hand. Brunetti folgte ihr kurz darauf den Flur entlang und blieb vor Paolas Arbeitszimmer stehen. Er klopfte.
    »Avanti«, rief sie.
    Als er eintrat, saß sie, wie gewöhnlich, wenn er von der Arbeit kam, an ihrem Schreibtisch vor einem Stapel Papiere, die sie durch ihre tief unten auf der Nase sitzende Brille las. Sie sah zu ihm auf und fragte lächelnd: »Wie ist es in Treviso gelaufen?«
    »Genau, wie ich es nicht erwartet hatte. Oder nicht erwarten konnte«, sagte

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