Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
nach kurzer Pause. »Sollte es aber sein.« Und bevor Brunetti antworten konnte, fügte er hinzu: »Ich weiß, daß es nicht an uns ist, die Gesetze zu machen. Wahrscheinlich nicht einmal, sie in Frage zu stellen. Aber es dürfte wirklich nicht erlaubt sein, ausgewachsene Männer auf die Reise zu schicken, damit sie Sex mit Kindern haben können.«
So ausgedrückt, war wenig dagegen einzuwenden, fand Brunetti. Aber die Reisebüros taten, soweit es das Gesetz betraf, nichts weiter, als den Leuten Flugtickets zu verkaufen, damit sie an andere Orte reisen konnten, und ihnen an diesen anderen Orten Hotels zu vermitteln. Was die Leute dann dort taten, war deren eigene Sache. Brunetti fühlte sich plötzlich an sein Logikseminar an der Universität erinnert, und wie begeistert er von der beinah mathematischen Einfachheit des Ganzen gewesen war. Alle Menschen sind sterblich. Giovanni ist ein Mensch. Also ist Giovanni sterblich. Es hatte Regeln gegeben, nach denen die Gültigkeit eines Syllogismus zu überprüfen war, irgend etwas mit einem Mittelbegriff und Außenbegriffen, die eine bestimmte Stellung im Satz haben mußten, und nicht zu viele von ihnen durften verneinend sein.
Die Einzelheiten hatten sich verflüchtigt und zu all den anderen Fakten, Statistiken und Axiomen gesellt, die ihm im Lauf der Jahrzehnte entfallen waren, seit er sein Studium abgeschlossen und sich unter die doctores jurisprudentiae hatte einreihen dürfen. Doch er erinnerte sich selbst nach so langer Zeit noch, welche Sicherheit es ihm gegeben hatte, zu wissen, daß gewisse Gesetze über die Gültigkeit eines Schlusses entschieden und man sie dazu anwenden konnte, zu beweisen, ob ein Schluß richtig oder wenigstens auf die richtige Weise abgeleitet worden war.
In den darauffolgenden Jahren hatte sich diese Sicherheit verschlissen. Die Wahrheit schien inzwischen im Besitz derer zu sein, die am lautesten schreien oder die besten Anwälte anheuern konnten. Und es gab keinen Syllogismus, der es mit einer Pistole oder einem Messer oder all den anderen Formen der Argumentation aufnehmen konnte, mit denen sein Berufsleben gespickt war.
Er riß sich von diesen Gedanken los und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Vianello zu, der gerade mitten in einem Satz war: »... einen Anwalt zu nehmen?«
»Wie bitte?« fragte Brunetti. »Entschuldigung, ich war gerade mit den Gedanken woanders.«
»Ich hatte gefragt, ob Sie daran denken, sich in dieser Sache einen Anwalt zu nehmen?«
Seit er aus Pattas Zimmer heraus war, hatte Brunetti diesen Gedanken weit von sich geschoben. So entschieden, wie er sich geweigert hatte, diesen Leuten im Namen seiner Frau zu antworten, hatte er es sich selbst verboten, über eine Strategie nachzudenken, wie man mit den rechtlichen Konsequenzen aus Paolas Handeln umgehen könnte. Obwohl er die meisten Strafverteidiger in der Stadt kannte und mit vielen von ihnen auf halbwegs gutem Fuß stand, waren diese Bekanntschaften doch streng beruflicher Natur. Jetzt ertappte er sich dabei, wie er im Geiste ihre Namen durchging und sich an den einen zu erinnern versuchte, der vor zwei Jahren in einem Mordfall so erfolgreich agiert hatte. Er riß sich auch davon los. »Darum wird meine Frau sich selbst kümmern müssen, denke ich.«
Vianello nickte und stand auf. Ohne noch etwas zu sagen, verließ er Brunettis Dienstzimmer.
Sowie er fort war, stand Brunetti auf und begann zwischen Schrank und Fenster hin und her zu gehen. Signorina Elettra war also schon dabei, die Geldangelegenheiten zweier Männer zu überprüfen, die nichts weiter getan hatten, als eine Straftat anzuzeigen und vorzuschlagen, daß man die Sache doch lieber in einer Weise regeln solle, die der Person, die sich geradezu damit brüstete, die Tat begangen zu haben, das wenigste Ungemach bereiten würde. Sie hatten sich dazu eigens in die Questura bemüht und einen Kompromiß angeboten, der die Schuldige vor den rechtlichen Folgen ihres Tuns bewahren würde. Und Brunetti sah untätig zu, wie nun ihre Finanzen auf eine Weise durchleuchtet wurden, die wahrscheinlich ebenso ungesetzlich war wie die Tat, deren Opfer der eine von ihnen geworden war.
Brunetti hegte nicht den mindesten Zweifel an der Ungesetzlichkeit dessen, was Paola getan hatte. Er blieb stehen. Nein, sie selbst hatte das auch nie bestritten. Es war ihr schlicht egal. Er verbrachte seine Tage, sein Leben damit, das Recht als solches zu schützen, und sie konnte darauf einfach spucken, als wäre es nur irgendeine
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