Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
jemandem, der solch eine ominöse Botschaft hinterlassen würde. Abgesehen davon, konnte er sich auch nur schwer mit dem Paradox anfreunden, daß jemand, der bereit war, gegen ein von ihm so empfundenes Unrecht vorzugehen - und hier kam ihm als Beispiel unvermittelt wieder Paola in den Sinn -, einen Mord begehen würde, um dieses Unrecht aus der Welt zu schaffen.
Er verfolgte diese Gedanken weiter, schloß Irre beiderlei Geschlechts aus und ließ Fanatiker und Eiferer außer acht. Blieb am Ende genau die eine Frage übrig, die es bei allen Mordermittlungen zu klären galt: cui bono? Und das rückte die Möglichkeit, daß Mitris Tod mit den Aktivitäten des Reisebüros zusammenhing, in noch größere Ferne. Sein Ableben änderte ja nichts. Das Aufsehen würde sich rasch legen. Signor Dorandi würde allenfalls noch von der Geschichte profitieren, und sei es nur, weil sich durch den Medienrummel der Name des Unternehmens ins Gedächtnis der Leute gebrannt hatte; und er hatte das öffentliche Forum, das ihm die Presse bot, wahrlich gut genutzt, um immer wieder seinen Abscheu und Ekel vor jeder Form des Sextourismus zu betonen.
Also etwas anderes. Brunetti senkte den Kopf und starrte den Zettel an, die mit ausgeschnittenen Buchstaben zusammengeklebten Worte. Etwas anderes. »Sex oder Geld«, sagte er laut und hörte Signorina Elettra erschrocken nach Luft schnappen. Sie war hereingekommen, ohne daß er es gehört hatte, und stand vor seinem Schreibtisch, einen Aktenordner in der Hand.
Er sah zu ihr auf und lächelte.
»Entschuldigung, Commissario, was war das?«
»Der Grund, warum er umgebracht wurde, Signorina. Sex oder Geld.«
Sie verstand sofort. »Beides sehr beliebt«, meinte sie, während sie ihm die Akte hinlegte. »Hier geht es um letzteres.«
»Bei wem von beiden?«
»Beiden.« Sie runzelte mißmutig die Stirn. »Aus diesen Zahlen da, denen von Dottor Mitri, werde ich nicht schlau.«
»Inwiefern?« fragte Brunetti. Wenn Signorina Elettra schon aus irgendwelchen Zahlen nicht schlau wurde, hatte er selbst erst recht keine Chance, etwas damit anfangen zu können.
»Er war sehr reich.«
Brunetti nickte; er hatte die Wohnung gesehen.
»Aber die Fabriken und Geschäfte, die ihm gehörten, werfen gar nicht soviel Geld ab.«
Das war nun allerdings, wie Brunetti wußte, ein weitverbreitetes Phänomen. Nach den Steuererklärungen zu urteilen, hatte niemand in Italien genug zum Leben; sie waren ein Volk von armen Leuten, die nur so gerade die Kurve kriegten, indem sie ihre Kragen wendeten, die Schuhe bis zur Brandsohle auftrugen und, wie er annehmen mußte, von Kleie und Brennesseln lebten. Und doch waren die Restaurants voll von gutgekleideten Menschen, jeder schien ein neues Auto zu besitzen, und die Flughäfen schickten Ladung um Ladung fröhlicher Touristen in alle Welt. Denk dir deinen Teil, konnte man da nur sagen.
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie das überrascht«, sagte Brunetti.
»Das tut es auch nicht. Wir schummeln alle bei der Steuer. Aber ich habe mir die Bücher aller seiner Firmen angesehen, und sie scheinen zu stimmen. Das heißt, keine bringt ihm mehr als etwa zwanzig Millionen Lire im Jahr ein.«
»Was zusammen ergibt.?«
»Rund zweihundert Millionen.«
»Gewinn?«
»Die hat er jedenfalls angegeben«, antwortete sie. »Nach Steuern blieb ihm davon weniger als die Hälfte.«
Es war erheblich mehr, als Brunetti im Jahr verdiente, und bedeutete wohl kaum ein Leben in Armut. »Aber warum sind Sie sich so sicher?« fragte er.
»Weil ich auch seine Kreditkartenabrechnungen geprüft habe.« Sie deutete mit dem Kopf zu dem Aktenordner. »Das sind nicht die Ausgaben eines Mannes, der so wenig verdient.«
Brunetti wußte nicht recht, wie er auf dieses wegwerfende »so wenig« reagieren sollte, und fragte: »Wieviel hat er denn so ausgegeben?« Er bedeutete ihr, Platz zu nehmen.
Sie raffte ihren langen Rock unter sich zusammen und setzte sich auf die vorderste Stuhlkante, wobei ihr Rücken mit der Lehne nicht einmal flirtete. Mit einer Handbewegung antwortete sie: »Die genaue Summe weiß ich nicht mehr. Über fünfzig Millionen, glaube ich. Wenn man die normalen Lebenshaltungskosten hinzuaddiert, die Ausgaben fürs Haus und so weiter, läßt sich nicht recht erklären, wie er zu fast einer Milliarde Lire in Sparguthaben und Wertpapieren kommt.«
»Vielleicht hat er in der Lotterie gewonnen«, meinte Brunetti lächelnd.
»Niemand gewinnt in der Lotterie«, antwortete Signorina
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