Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
calle vorbei, durch die Unterführung und hinaus auf den campo. Die Bäume hatten ihre Blätter schon längst verloren, so daß der große Platz seltsam nackt und ungeschützt wirkte.
Die Anwaltskanzlei befand sich im ersten Stock des Palazzo Soranzo, und Brunetti war überrascht, als Zambino ihm persönlich die Tür öffnete.
»Ah, Commissario Brunetti. Sehr erfreut«, sagte der Anwalt und begrüßte Brunetti mit einem festen Händedruck. »Ich kann nicht sagen: ›Es freut mich, Sie kennenzulernen‹, denn wir kennen uns ja schon, aber ich freue mich, daß Sie zu mir gekommen sind und mit mir sprechen wollen.« Bei ihrem ersten Zusammentreffen hatte Brunetti sich fast ausschließlich auf Mitri konzentriert und den Anwalt nicht weiter beachtet.
Der Mann war klein und untersetzt, und seine Figur deutete auf gutes Essen und wenig Bewegung hin. Brunetti glaubte denselben Anzug zu erkennen, den er schon bei dem Gespräch mit Patta getragen hatte, aber ganz sicher war er sich nicht. Schütteres Haar bedeckte einen Schädel, der irritierend rund war; dasselbe konnte man von seinem Gesicht und den Wangen sagen. Er hatte die Augen einer Frau: dicht bewimpert, mandelförmig, kobaltblau und auffallend schön.
»Danke«, sagte Brunetti und wandte den Blick von dem Anwalt, um sich in dessen Vorzimmer umzusehen. Es war, wie er überrascht feststellte, ein betont schlichter Raum, wie er eher bei einem frisch niedergelassenen jungen Arzt zu erwarten gewesen wäre. Die Stühle hatten Metallrahmen, die Sitzflächen und Lehnen waren aus Plastik, das schlecht als Holz getarnt war. In der Mitte stand ein niedriger Tisch, auf dem ein paar alte Zeitschriften lagen.
Zambino führte ihn durch eine offene Tür in einen zweiten Raum, der offenbar sein Büro war. Hier waren die Wände mit Bücherregalen vollgestellt, und Brunetti erkannte juristische Kommentare, Fallstudien und die Gesetzestexte des italienischen Zivil- und Strafrechts. Die Regale reichten alle vom Boden bis zur Decke. Vier oder fünf Bücher lagen aufgeschlagen auf Zambinos Schreibtisch.
Während Brunetti auf einem der drei Stühle vor dem Schreibtisch Platz nahm, ging Zambino zu seinem eigenen Stuhl und klappte die Bücher zu, nachdem er gewissenhaft kleine Papierschnipsel in jedes gesteckt hatte, dann legte er die Bücher auf einen Stapel und schob diesen beiseite.
»Um gleich zur Sache zu kommen, ich nehme an, daß Sie gekommen sind, um mit mir über Dottor Mitri zu sprechen«, begann Zambino. Brunetti nickte. »Gut. Wenn Sie mir dann sagen, was Sie wissen möchten, will ich versuchen, Ihnen zu helfen, so gut ich kann.«
»Sehr freundlich von Ihnen, Avvocato«, antwortete Brunetti überaus höflich.
»Das hat nichts mit Freundlichkeit zu tun, Commissario. Es ist meine Pflicht als Bürger und mein Wunsch als Anwalt, auf jede erdenkliche Weise dazu beizutragen, daß Sie Dottor Mitris Mörder finden.«
»Sie nennen ihn nicht Paolo, Avvocato?«
»Wen, Mitri?« fragte der Anwalt zurück, und als Brunetti nickte, antwortete er: »Nein. Dottor Mitri war ein Klient, kein Freund.«
»Gibt es einen Grund dafür, daß er kein Freund war?«
Zambino war schon zu lange Anwalt, um auf irgendeine Frage mit Überraschung zu reagieren, und antwortete ruhig: »Nein, es gibt dafür keinen Grund außer dem, daß wir nie etwas miteinander zu tun hatten, bevor er mich um Rat wegen des Vorfalls im Reisebüro gebeten hat.«
»Meinen Sie denn, er hätte Ihr Freund werden können?« erkundigte sich Brunetti.
»Darüber kann ich nicht spekulieren, Commissario. Ich habe einmal mit ihm telefoniert, mich hier in meiner Kanzlei mit ihm getroffen und bin dann mit ihm zum Vice-Questore gegangen. Das war der einzige Kontakt, den ich je mit ihm hatte, also kann ich nicht wissen, ob er mein Freund hätte werden können.«
»Aha«, sagte Brunetti. »Können Sie mir sagen, was er wegen des Vorfalls im Reisebüro, wie Sie das nennen, zu tun beschlossen hatte?«
»Sie meinen, hinsichtlich einer Klage?«
»Ja.«
»Nach dem Gespräch mit Ihnen und dann mit dem ViceQuestore habe ich ihm vorgeschlagen, Schadenersatz für das Schaufenster und den geschätzten Umsatzausfall für das Reisebüro zu fordern, an dem er ja prozentual beteiligt war.«
»War es schwer, ihn zu überreden, Avvocato?«
»Nein, überhaupt nicht«, antwortete Zambino, fast als hätte er diese Frage schon erwartet gehabt. »Ich möchte sogar behaupten, er hatte sich schon vor seinem Gespräch mit mir zu diesem Kurs entschieden
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