Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
die ihn nun das Leben gekostet hatten.
»Ja, ich weiß.« Der Conte schwieg kurz und fragte dann: »Was hältst du davon?«
»Warum fragst du?«
»Weil ich nicht will, daß meine Tochter bis ans Ende ihrer Tage glauben muß, der Mord sei durch etwas ausgelöst worden, was sie getan hat.«
Dieser Hoffnung konnte Brunetti sich nur von ganzem Herzen anschließen.
»Was sagt sie denn dazu?« fragte der Conte.
»Gestern abend hat sie gesagt, daß es ihr leid tut, und davon gesprochen, daß sie das alles ausgelöst habe.«
»Ist das deine Meinung? Daß sie der Auslöser war?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Brunetti. »Heutzutage laufen so viele Verrückte durch die Gegend.«
»Man muß schon verrückt sein, um jemanden umzubringen, weil er eine Agentur hat und Reisen organisiert.«
»Sexreisen«, verbesserte Brunetti.
»Sexreisen. Reisen zu den Pyramiden«, erwiderte der Conte hitzig. »Ob das eine oder das andere, deswegen geht keiner hin und bringt einen Menschen um.«
Brunetti verkniff sich die Erwiderung, daß Leute normalerweise auch nicht hingingen und Steine in Schaufenster warfen. Vielmehr sagte er: »Die Leute tun vieles aus den verrücktesten Gründen, darum glaube ich, daß wir die Möglichkeit nicht ganz ausschließen können.«
»Aber glaubst du es?« bohrte der Conte, und Brunetti hörte an seinem angespannten Ton, was es ihn kostete, seinen Schwiegersohn das zu fragen.
»Wie ich dir schon sagte, ich möchte es nicht glauben«, antwortete Brunetti. »Ich weiß nicht genau, ob es ganz dasselbe ist, jedenfalls soll es heißen, daß ich nicht bereit bin, es zu glauben, solange wir nicht triftige Gründe dafür finden.«
»Und was für Gründe könnten das sein?«
»Ein Tatverdächtiger zum Beispiel.« Er selbst war mit der bisher einzigen Tatverdächtigen verheiratet und wußte, daß sie zur Mordzeit neben ihm gesessen hatte, also blieb entweder jemand, der wegen der Sexreisen zu morden bereit war, oder jemand, der es aus völlig anderen Gründen getan hatte. Er war ganz und gar gewillt, entweder den einen oder den anderen zu finden, solange er nur überhaupt jemanden fand. »Sagst du mir Bescheid, wenn du etwas Genaueres hörst?« fragte er. Und bevor der Conte seine Bedingungen stellen konnte, fügte er hinzu: »Du brauchst mir keine Namen zu nennen. Erzähl mir nur weiter, was er oder sie gesagt hat.«
»Na gut«, willigte der Conte ein. »Und läßt du mich wissen, wie es Paola geht?«
»Du könntest sie mal anrufen. Führ sie zum Essen aus. Tu irgend etwas, was ihr Freude macht.«
»Danke, Guido. Das werde ich tun.« Brunetti glaubte schon, der Conte habe ohne ein weiteres Wort aufgelegt, so lange zog sich das Schweigen hin, aber dann meldete er sich doch wieder: »Ich hoffe, du findest den Täter. Und ich will dir dabei helfen, so gut ich kann.«
»Danke«, sagte Brunetti.
Diesmal legte der Conte wirklich auf.
Brunetti zog seine Schublade auf und nahm die Fotokopie des Zettels heraus, den man bei Mitri gefunden hatte. Was sollte dieser Vorwurf der Pädophilie? Und wem galt er? Mitri persönlich? Oder Mitri, dem Eigentümer eines Reisebüros, das ihr durch seine Angebote Vorschub leistete? Wenn der Mörder verrückt genug war, so etwas zu schreiben und dann hinzugehen und den Menschen umzubringen, den er beschuldigte - wäre das dann jemand, den einer wie Mitri abends in seine Wohnung lassen würde? Brunetti wußte zwar, daß es ein überholtes Vorurteil war, aber er glaubte eben doch daran, daß man den total Verrückten mit einem Blick ansah, was sie waren. Um dafür Bestätigung zu finden, brauchte er nur an die zu denken, die er frühmorgens oft um den Palazzo Boldù sah.
Aber dieser Mensch hatte es geschafft, in Mitris Wohnung zu gelangen. Außerdem hatte er - oder sie, räumte Brunetti ein, obwohl er diese Möglichkeit nicht ernsthaft in Betracht zog; auch so ein Vorurteil von ihm - Mitri so in Sicherheit wiegen können, daß dieser ihm den Rücken zuwandte und er ihm von hinten die Schnur oder den Draht, was immer es gewesen war, um den Hals legen konnte. Und er war ungesehen gekommen und wieder gegangen, denn keinem der Hausbewohner - sie waren alle befragt worden - war an diesem Abend irgend etwas Ungewöhnliches aufgefallen; die meisten hatten sich die ganze Zeit in ihren Wohnungen aufgehalten und erst gemerkt, daß etwas nicht in Ordnung war, als Signora Mitri schreiend ins Treppenhaus rannte.
Nein, das sah für Brunetti alles nicht nach einem Verrückten aus oder nach
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