Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
Elettra, ohne zu lächeln.
»Warum läßt einer soviel Geld auf der Bank?« fragte Brunetti.
»Ich denke, weil niemand mit dem Sterben rechnet. Aber er hat es kräftig hin und her geschoben. Im letzten Jahr ist so einiges davon verschwunden.«
»Wohin?«
Sie zuckte die Achseln. »Wohin Geld eben verschwindet, nehme ich an: in die Schweiz, nach Luxemburg, auf die Kanalinseln.«
»Wieviel?«
»Etwa eine halbe Milliarde.«
Brunetti blickte auf die vor ihm liegende Mappe, schlug sie aber nicht auf. Er hob den Blick. »Können Sie das herausfinden?«
»Ich habe noch gar nicht richtig zu suchen angefangen, Commissario. Das heißt, angefangen habe ich schon, aber mich sozusagen nur ein bißchen umgesehen. Ich habe noch nicht angefangen, Schubladen aufzubrechen oder in seinen privaten Unterlagen zu schnüffeln.«
»Ob Sie dafür wohl die Zeit finden könnten?«
Brunetti konnte sich nicht erinnern, wann er das letztemal einem Kind ein Bonbon angeboten hatte, aber im Geiste sah er so ein ähnliches Lächeln vor sich, wie es jetzt auf Signorina Elettras Gesicht erblühte. »Nichts könnte mir größere Freude bereiten«, sagte sie, wobei ihn nur ihre Wortwahl überraschte, nicht die Antwort an sich. Sie stand so eilig auf, als könnte sie es kaum erwarten.
»Und Zambino?«
»Überhaupt nichts. Ich bin noch nie einem Menschen begegnet, dessen Geldgeschäfte so klar und...« Sie unterbrach sich und mußte nach dem richtigen Wort suchen. »So klar und so ehrlich sind«, sagte sie und vermochte ihr Erstaunen über den Klang des letzten Wortes nicht zu unterdrücken. »Noch nie.«
»Wissen Sie etwas über ihn?«
»Privat?« Brunetti nickte, aber statt zu antworten, fragte sie zurück: »Warum möchten Sie das wissen?«
»Aus keinem bestimmten Grund«, antwortete er, neugierig gemacht durch ihr offenkundiges Widerstreben. »Also, wissen Sie etwas?«
»Er ist ein Patient von Barbara.«
Brunetti überlegte. Er kannte Signorina Elettra gut genug, um sich darüber klar zu sein, daß sie niemals etwas preisgeben würde, das für ihre Begriffe unter Familiengeheimnisse fiel; und ihre Schwester war durch ihre ärztliche Schweigepflicht gebunden. Er ließ das Thema fallen. »Und beruflich?«
»Freunde von mir haben ihn schon engagiert.«
»Als Anwalt?«
»Ja.«
»Warum? Ich meine, in was für Angelegenheiten?«
»Erinnern Sie sich an den Überfall auf Lily?« fragte sie.
Brunetti erinnerte sich an den Fall, der ihn sprachlos vor Zorn gemacht hatte. Vor drei Jahren war Lily Vitale, eine Architektin auf dem Heimweg von der Oper überfallen worden. Es hatte wie ein Straßenraub begonnen, aber als schwere Körperverletzung geendet, bei der sie mehrere Faustschläge ins Gesicht bekommen und ein gebrochenes Nasenbein davongetragen hatte. Gestohlen hatte man ihr nichts; ihre Handtasche hatte unberührt neben ihr gelegen, als auf ihre Hilferufe hin die Leute aus den umliegenden Häusern gerannt kamen.
Ihr Angreifer wurde noch in derselben Nacht festgenommen und schnell als derjenige identifiziert, der schon mindestens drei andere Frauen in der Stadt zu vergewaltigen versucht hatte. Aber er hatte ihnen nie etwas gestohlen und war, wie sich herausstellte, gar nicht zu einer Vergewaltigung fähig, und so hatte er drei Monate Hausarrest bekommen, aber erst, nachdem seine Mutter und seine Freundin vor Gericht aufgetreten waren und ein Loblied auf seine Tugend, seine Treue und seine Ehrenhaftigkeit gesungen hatten.
»Lily hat ihn dann auf Schadenersatz verklagt. Zambino war ihr Anwalt.«
Davon wußte Brunetti nichts. »Und?«
»Sie hat verloren.«
»Warum?«
»Weil der Mann ja nicht versucht hatte, sie zu berauben. Er hatte ihr nur das Nasenbein gebrochen, und das war für den Richter kein so schweres Verbrechen wie ein Handtaschendiebstahl. Er hat ihr nicht einmal Schmerzensgeld zugesprochen. Er meinte, der Hausarrest sei Strafe genug.«
»Und Lily?«
Signorina Elettra zuckte die Achseln. »Sie geht nicht mehr allein aus und kommt dadurch weniger unter die Leute.«
Der junge Mann saß zur Zeit im Gefängnis, weil er seine Freundin niedergestochen hatte, aber Brunetti glaubte nicht, daß dies für Lily etwas änderte oder daß es überhaupt etwas änderte.
»Wie hat Zambino es aufgenommen, daß er den Fall verloren hat?«
»Das weiß ich nicht. Lily hat nie darüber gesprochen.« Mehr sagte Signorina Elettra nicht; sie wandte sich vielmehr zum Gehen. »Ich muß mich auf die Suche begeben«, meinte sie, womit sie ihn daran
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