Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
brauchen.
Kurz nach vier summte seine Gegensprechanlage, und er nahm ab. Er wußte gleich, daß es Patta war, und fand es interessant, wie rasch sich Dinge herumsprachen. Er war richtig neugierig darauf, was der Vice-Questore von ihm wollte.
»Können Sie bitte zu mir herunterkommen, Commissario?« fragte sein Vorgesetzter, worauf Brunetti höflich antwortete, er sei schon unterwegs.
Signorina Elettras Blazer hing über ihrer Stuhllehne, und auf ihrem Computerbildschirm stand eine Liste mit Namen und offenbar Zahlen in ordentlichen Reihen, aber von ihr selbst war nichts zu sehen. Er klopfte an Pattas Tür und trat ein, als er von drinnen dazu aufgefordert wurde.
Dort sah er Signorina Elettra vor Pattas Schreibtisch sitzen, die Knie züchtig zusammengedrückt, einen Notizblock auf dem Schoß und den Stift darüber, weil Pattas letztes Wort noch nachhallte. Da es aber nur das gebrüllte »Avanti« war, mit dem er Brunetti hereingerufen hatte, schrieb sie es nicht auf.
Patta nahm Brunettis Ankunft kaum zur Kenntnis, nickte ihm nur so knapp wie möglich zu und widmete sich wieder seinem Diktat. »Und sagen Sie ihnen, ich wünsche nicht... Nein, schreiben Sie lieber: Ich dulde nicht... Das klingt doch viel entschiedener, finden Sie nicht, Signorina?«
»Unbedingt, Vice-Questore«, sagte sie, den Blick auf ihren Notizen.
»Ich dulde nicht«, fuhr Patta fort, »daß Polizeiboote und -kraftfahrzeuge weiterhin für nicht genehmigte Fahrten benutzt werden. Wenn jemand von der Belegschaft ...« Hier unterbrach er sich und fuhr in zwangloserem Ton fort: »Würden Sie bitte nachsehen, welche Dienstgrade zur Benutzung der Boote und Autos befugt sind, und das noch einsetzen, Signorina?«
»Selbstverständlich, Vice-Questore.«
»Wenn jemand von der Belegschaft«, nahm er sein Diktat wieder auf, »ein polizeiliches Transportmittel benötigt, hat er. ja, bitte, Signorina?« Patta unterbrach sich wieder, als er das verwirrte Gesicht sah, mit dem sie bei seinen letzten Worten zu ihm aufblickte.
»Vielleicht sollte es besser ›hat sie oder er‹ heißen«, riet sie ihm, »damit es nicht so klingt, als ob nur Männer berechtigt wären, ein Boot anzufordern.« Sie senkte den Kopf und blätterte auf eine neue Seite ihres Notizblocks um.
»Natürlich, natürlich, wenn Sie das für ratsam halten«, pflichtete Patta bei und fuhr fort: »... hat sie oder er die entsprechenden Formulare auszufüllen und von einer dazu befugten Person abzeichnen zu lassen.« Seine ganze Haltung veränderte sich, und sein Gesicht bekam einen weniger gebieterischen Ausdruck, als hätte er soeben seinem Kinn verboten, weiterhin wie das von Mussolini auszusehen. »Wenn Sie so freundlich wären, nachzusehen, wer dazu befugt ist, und diese Namen hinzuzufügen...?«
»Natürlich, Vice-Questore«, sagte sie und schrieb noch ein paar Worte. Dann blickte sie lächelnd auf. »Ist das alles?«
»Ja, ja«, sagte Patta, und vor Brunettis ungläubigen Augen machte er im Sitzen eine regelrechte Verbeugung, als sie aufstand, fast als wollte er ihr damit ritterlich auf die Beine helfen.
An der Tür drehte sie sich um und lächelte ihnen beiden zu. »Ich werde das gleich morgen früh erledigen, Vice-Questore«, sagte sie.
»Geht es nicht früher?« fragte Patta.
»Leider nicht, Vice-Questore. Vorher muß ich noch unser Budget für den nächsten Monat berechnen.« Ihr Lächeln vereinte Bedauern mit Strenge.
»Ach so, ja.«
Sie ging ohne eine weiteres Wort und machte die Tür hinter sich zu.
»Brunetti«, sagte Patta ohne Einleitung, »was tut sich im Fall Mitri?«
»Ich habe heute mit seinem Schwager gesprochen«, begann Brunetti, innerlich gespannt, ob Patta schon davon gehört hatte. Dessen leeres Gesicht sagte ihm aber, daß dem nicht so war, weshalb er fortfuhr: »Und ich habe in Erfahrung gebracht, daß es in den letzten Jahren drei weitere Morde gegeben hat, bei denen irgendein mit Plastik ummantelter Draht verwendet wurde, vielleicht ein Elektrokabel. Und alle Opfer wurden anscheinend von hinten angegriffen, genau wie Mitri.«
»Was für Verbrechen waren das?« fragte Patta. »Solche wie dieses?«
»Nein, Vice-Questore. Da bestand eher der Verdacht, daß es Hinrichtungen waren, vermutlich durch die Mafia.«
»Dann«, tat Patta diese Möglichkeit von vornherein ab, »können sie mit unserem Fall nichts zu tun haben. Hier handelt es sich um die Tat eines Irren, irgendeines Fanatikers, zum Mord angestachelt durch ...« Entweder verlor Patta hier den
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