Brunetti 09 - Feine Freunde
zwei kleine Gläser zu greifen.
Brunetti schenkte von der klaren Flüssigkeit ein und reichte Paola das eine Glas. »Was machst du heute nachmittag«, fragte sie nach dem beruhigenden ersten Schlückchen.
»Ich gehe wieder nach Persien«, antwortete Brunetti, streifte die Schuhe von den Füßen und legte sich aufs Sofa.
»Das würde ich doch eine etwas übertriebene Reaktion auf Signor Rossis Botschaft nennen.« Sie trank noch ein Schlückchen. »Ist das nicht die Flasche, die wir aus Belluno mitgebracht haben?« Sie hatten dort einen Freund, der länger als zehn Jahre mit Brunetti zusammengearbeitet hatte, aber nach einer Verwundung in einer Schießerei aus dem Polizeidienst ausgeschieden und in sein Dorf zurückgekehrt war, um den Hof seines Vaters zu übernehmen. Jedes Jahr im Herbst stellte er einen Destillierkolben auf und brannte fünfzig Flaschen Grappa, was durch und durch ungesetzlich war. Dann verschenkte er sie an Verwandte und Freunde.
Brunetti trank noch einen Schluck und seufzte.
»Persien?« fragte sie endlich.
Er stellte sein Glas auf den Couchtisch und nahm das Buch zur Hand, das er bei Signor Rossis Ankunft weggelegt hatte. »Xenophon«, erklärte er, wobei er es an der Stelle mit dem Lesezeichen aufschlug, schon wieder ganz in jenem anderen Teil seines Lebens angekommen.
»Sie konnten sich doch retten, die Griechen, nicht wahr?« fragte sie. »Und sind wieder nach Hause gekommen?«
»So weit bin ich noch nicht«, antwortete Brunetti.
Paolas Stimme klang jetzt doch ein wenig gereizt. »Guido, du hast Xenophon mindestens schon zweimal gelesen, seit wir verheiratet sind. Wenn du nicht mehr weißt, ob die Griechen es nach Hause geschafft haben, dann hast du entweder nicht aufgepaßt, oder es müssen die ersten Symptome von Alzheimer sein.«
»Ich tue einfach so, als wüßte ich nicht, wie es ausgeht, dann habe ich mehr davon«, erklärte er und setzte seine Brille auf. Er fand die Stelle, an der er aufgehört hatte, und begann zu lesen.
Paola sah ihm eine Weile zu, dann goß sie sich noch einen Grappa ein und nahm ihn mit in ihr Arbeitszimmer. Ihren Mann überließ sie einstweilen den Persern.
4
W ie es in solchen Angelegenheiten oft der Fall ist, geschah nichts weiter. Das heißt, es kamen keine weiteren Mitteilungen vom Ufficio Catasto, und von Signor Rossi hörte man auch nichts mehr. Angesichts dieses Schweigens - und vielleicht auch aus einem gewissen Aberglauben heraus - unternahm Brunetti keinen Versuch, sich mit den Freunden in Verbindung zu setzen, die ihm vielleicht helfen konnten, den rechtlichen Status seiner Wohnung zu klären. Aus dem Vorfrühling wurde allmählich richtiger Frühling. Die Temperaturen stiegen, und die Brunettis saßen immer öfter und länger auf ihrer Terrasse. Am fünfzehnten April aßen sie mittags zum erstenmal draußen, um die Abendessenszeit war es allerdings schon wieder zu kühl. Die Tage wurden länger, aber noch immer hörte man nichts Neues über den zweifelhaften Rechtsstatus der Brunettischen Wohnung. Und sie machten es wie die Bauern, die am Fuße eines Vulkans leben: Kaum hatte die Erde zu grollen aufgehört, bestellten sie wieder ihre Felder und hofften, daß die zürnenden Götter sie vergessen hatten.
Mit dem Wechsel der Jahreszeiten strömten mehr und mehr Touristen in die Stadt. Und mit ihnen kamen Zigeuner in großer Zahl. Letztere bezichtigte man schon seit langem zahlloser Einbrüche in den Städten, aber inzwischen machte man sie auch für Taschendiebstähle und vielerlei sonstige Straßenkriminalität verantwortlich. Da nicht nur die Einwohner sich dadurch belästigt fühlten, sondern vor allem auch die Touristen, die eine Haupteinnahmequelle der Stadt waren, wurde Brunetti beauftragt, sich Gedanken darüber zu machen, was man unternehmen könne. Die Taschendiebe waren meist noch nicht strafmündig. Sie wurden wiederholt aufgegriffen und zur Questura gebracht, wo sie sich ausweisen sollten, und wenn sich dann herausstellte, daß die wenigen, die überhaupt Papiere bei sich hatten, minderjährig waren, ließ man sie mit einer Verwarnung laufen. Viele waren schon am nächsten Tag wieder da; die meisten innerhalb der nächsten Woche. Da die einzigen sinnvollen Auswege, die Brunetti sah, darin bestanden hätten, entweder das Jugendstrafrecht zu ändern oder aber die Missetäter auszuweisen, fiel es ihm schwer, seine Gedanken zu Papier zu bringen.
Er saß am Schreibtisch und überlegte angestrengt, wie man es vermeiden könne,
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