Brunetti 09 - Feine Freunde
angerufen, woraufhin Gigi eine Strafe zahlen mußte.«
»Das war vor zehn Jahren.«
»Zwölf«, korrigierte Paola aus schierer Gewohnheit. Sie sah, wie sich Brunettis Lippen spannten, und fügte hinzu: »Ist ja egal. Spielt keine Rolle. Was kann sonst noch passieren?«
»Er sagt, in manchen Fällen, wenn nie eine Baugenehmigung beantragt, die Arbeit aber trotzdem durchgeführt wurde, mußten die Leute das, was sie gebaut hatten, wieder abreißen.«
»Das hat er doch sicher nur im Spaß gesagt«, meinte sie.
»Du hast Signor Rossi gesehen, Paola. Traust du ihm zu, daß er so etwas im Spaß sagt?«
»Ich habe den Verdacht, daß Signor Rossi zu denen gehört, die überhaupt nie einen Spaß machen.« Damit drehte sie sich lässig um und ging ins Wohnzimmer. Dort schob sie ein paar auf einer Sessellehne liegende Zeitschriften zusammen, dann ging sie weiter auf die Terrasse. Brunetti folgte ihr. Als sie so nebeneinanderstanden und auf die Stadt blickten, die vor ihnen ausgebreitet lag, zeigte Paola mit einer ausladenden Bewegung über alle die Dächer, Terrassen, Gärten und Dachfenster. »Möchte mal wissen, wieviel davon legal ist«, sagte sie. »Und wissen möchte ich auch, für wieviel davon die entsprechenden Genehmigungen rechtzeitig beantragt oder auch erst nachträglich erteilt wurden.« Sie wohnten beide schon fast ihr ganzes Leben lang in Venedig und kannten unzählige Geschichten von Schmiergeldern für Bauamtsinspektoren; oder von Fasergipsplatten, die, eine Sekunde nachdem der Bauamtsinspektor zur Tür hinaus war, wieder herausgerissen wurden.
»Die halbe Stadt ist so, Paola«, sagte er. »Aber uns haben sie erwischt.«
»Man hat uns bei gar nichts erwischt«, entgegnete sie, wobei sie sich zu ihm umdrehte. »Wir haben nichts verbrochen. Wir haben diese Wohnung in gutem Glauben gekauft. Battistini - hieß so nicht der Mann, von dem wir sie haben? - hätte die erforderlichen Genehmigungen besorgen müssen.«
»Wir hätten uns vor dem Kauf vergewissern müssen, daß er sie hatte«, versuchte Brunetti zu argumentieren. »Aber das haben wir nicht. Wir brauchten nur das da zu sehen...« - er umschrieb mit einer kreisenden Armbewegung alles, was vor ihnen lag -, »... und waren verloren.«
»So habe ich es nicht in Erinnerung«, sagte Paola. Sie ging ins Wohnzimmer zurück und setzte sich.
»Ich schon«, erwiderte Brunetti.
Bevor Paola etwas einwenden konnte, fuhr er fort: »Es spielt aber keine Rolle, was wir in Erinnerung haben. Oder wie überstürzt wir damals beim Kauf gehandelt haben. Eine Rolle spielt einzig und allein, daß wir das Problem jetzt am Hals haben.«
»Battistini?« fragte sie.
»Der ist vor etwa zehn Jahren gestorben«, antwortete Brunetti. Sollte sie die Absicht gehabt haben, sich mit diesem Mann in Verbindung zu setzen, so war das hiermit erledigt.
»Das wußte ich nicht.«
»Sein Neffe - du weißt schon, der in Murano arbeitet - hat es mir erzählt. Ein Tumor.«
»Das tut mir leid«, sagte sie. »Er war ein netter Mann.«
»Stimmt. Und er hat uns einen guten Preis gemacht.«
»Ich glaube, er hatte die Frischvermählten ins Herz geschlossen«, meinte sie, und ein Lächeln der Erinnerung huschte über ihr Gesicht. »Besonders diese frischvermählten werdenden Eltern.«
»Du meinst, das könnte Einfluß auf den Preis gehabt haben?« fragte Brunetti.
»Ich habe es mir immer gern eingebildet«, antwortete Paola. »Sehr unvenezianisch von ihm, aber trotzdem anständig. Allerdings nicht«, fügte sie rasch hinzu, »wenn wir die Wohnung jetzt wieder abreißen müssen.«
»Das wäre doch mehr als nur ein bißchen lächerlich, findest du nicht?« fragte Brunetti.
»Du arbeitest jetzt seit zwanzig Jahren bei der Stadt, richtig? Du solltest inzwischen gelernt haben, daß es absolut keine Rolle spielt, ob etwas lächerlich ist oder nicht.«
Brunetti mußte ihr da wohl oder übel recht geben. Dieser Obstverkäufer fiel ihm ein, der ihm gesagt hatte, wenn ein Kunde sein Obst oder Gemüse anfasse, so müsse er, der Händler, eine halbe Million Lire Strafe zahlen. Widersinn schien keiner Verordnung, die man sich bei der Stadt einfallen ließ, im Weg zu stehen.
Paola ließ sich in ihrem Sessel nach hinten sinken und legte die Füße auf das niedrige Tischchen zwischen ihnen. »Was soll ich also tun? Meinen Vater anrufen?«
Brunetti hatte gewußt, daß diese Frage früher oder später kommen würde, und war froh, daß sie eher früh als spät kam. Conte Orazio Falier, einer der
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