Brunetti 09 - Feine Freunde
offenkundige Wahrheiten auszusprechen, als das Telefon klingelte. »Brunetti«, meldete er sich, wobei er auf die dritte Seite mit den Namen derer umblätterte, die in den letzten zwei Monaten wegen einfachen Diebstahls festgenommen worden waren.
»Commissario?« fragte eine Männerstimme.
»Ja.«
»Hier ist Franco Rossi.«
Der Name war einer der gängigsten, die ein Venezianer haben konnte, etwa wie Fritz Müller, weshalb es ein Weilchen dauerte, bis Brunetti sein Gedächtnis durchforstet hatte, aber schließlich kam er doch aufs Katasteramt.
»Ah, ich hatte gehofft, von Ihnen zu hören, Signor Rossi«, log er schamlos. In Wahrheit hatte er gehofft, Signor Rossi werde mitsamt seinem Ufficio Catasto und allen Akten sonstwohin verschwinden. »Gibt es etwas Neues?«
»In welcher Angelegenheit?«
»Unsere Wohnung«, erklärte Brunetti, der sich nicht denken konnte, was er für andere Neuigkeiten von Signor Rossi zu erwarten hätte.
»Nein, nichts«, antwortete Rossi. »Der Bericht wurde weitergeleitet und wird bearbeitet werden.«
»Haben Sie eine Vorstellung, wie lange das ungefähr dauern könnte?« fragte Brunetti zaghaft.
»Nein, leider nicht. Unmöglich zu sagen, wann die dazu kommen werden.« Rossis Stimme klang barsch und abweisend.
Brunetti schoß durch den Kopf, wie gut dieser Satz auf die meisten städtischen Behörden zutraf, mit denen er es je zu tun gehabt hatte, egal ob als Privatmann oder als Polizist. »Brauchen Sie weitere Informationen von mir?« erkundigte er sich, weiterhin höflich, weil er sich bewußt war, daß er Signor Rossis guten Willen vielleicht irgendwann in der Zukunft einmal brauchen würde, möglicherweise sogar seine direkte Hilfe.
»Es geht um etwas anderes«, sagte Rossi. »Ich habe Ihren Namen gegenüber jemandem erwähnt, der mir sagte, wo Sie arbeiten.«
»Aha, und was kann ich für Sie tun?«
»Es geht um eine Sache hier in meiner Dienststelle«, sagte Rossi, dann unterbrach er sich und korrigierte: »Das heißt, nicht direkt hier, denn ich bin nicht im Amt. Wenn Sie verstehen.«
»Wo sind Sie denn, Signor Rossi?«
»Auf der Straße. Ich rufe über mein telefonino an. Aus dem Amt heraus wollte ich das lieber nicht.« Der Empfang wurde schwach, und als Rossis Stimme dann wieder zu hören war, sagte er gerade: »... hat mit dem zu tun, was ich Ihnen mitteilen will.«
In diesem Fall wäre Signor Rossi allerdings gut beraten gewesen, nicht sein Mobiltelefon zu benutzen, denn dieses Kommunikationsmittel war so öffentlich wie die Zeitung.
»Handelt es sich bei dem, was Sie mir mitteilen wollen, um etwas Wichtiges, Signor Rossi?«
»Ja, ich glaube schon«, sagte Rossi etwas leiser.
»Dann wäre es sicher besser, Sie würden sich eine Telefonzelle suchen und mich von dort aus anrufen«, riet Brunetti.
»Wie, was?« fragte Rossi unsicher.
»Rufen Sie mich aus einer Telefonzelle an, Signore. Ich bleibe hier und warte.«
»Sie meinen, dieser Anruf ist nicht sicher?« fragte Rossi, und Brunetti hörte dieselbe Angst, die dem Mann die Kehle zugeschnürt hatte, als er in Brunettis Wohnung um keinen Preis auf die Terrasse hatte hinaustreten wollen.
»Das wäre übertrieben«, sagte Brunetti so ruhig und beruhigend, wie es ging. »Aber Sie bekommen bestimmt keinen Ärger, wenn Sie mich von einer öffentlichen Zelle aus anrufen, schon gar nicht, wenn Sie meine Durchwahlnummer wählen.« Er nannte Rossi die Nummer und wiederholte sie noch einmal, während der junge Mann sie sich vermutlich notierte.
»Ich muß mir Kleingeld besorgen oder eine Telefonkarte kaufen«, sagte Rossi, dann glaubte Brunetti ihn nach einer kurzen Pause das Gerät ausschalten zu hören, aber Rossis Stimme kam wieder, und es klang wie »... später wieder an«.
»Gut. Ich bin hier«, wollte Brunetti sagen, doch dann hörte er ein Klicken, bevor er noch zu Ende gesprochen hatte.
Was hatte Signor Rossi im Katasteramt entdeckt? Daß Geld geflossen war, um einen inkriminierend genauen Bauplan aus einer Akte verschwinden und durch einen anderen, phantasievolleren ersetzen zu lassen? Schmiergelder an einen Bauamtsinspektor? Bei dem Gedanken, so etwas könne einen Staatsdiener noch derart schockieren, daß er die Polizei anrief, mußte Brunetti beinah laut lachen. Was war denn los im Ufficio Catasto, daß sie ein derart argloses Gemüt dort einstellten?
Während Brunetti in den nächsten Minuten auf Rossis Rückruf wartete, versuchte er sich auszurechnen, was es ihm einbringen könnte, wenn er Signor
Weitere Kostenlose Bücher