Brunetti 09 - Feine Freunde
und kann offenbar über nichts anderes mehr reden als Küche und Kinder.« Sie warf einen Blick zu Brunetti hinüber, der aber immer noch nichts sagte. »Wie lange ist es her, daß wir die beiden zusammen gesehen haben? Zwei Jahre? Erinnere dich bitte, wie peinlich es das letzte Mal war, als sie den ganzen Abend herumhampelte und uns dauernd fragte, ob wir noch etwas essen möchten, und uns immer noch mehr Fotos von ihren zwei höchst uninteressanten Kindern zeigte!«
Es war ein peinlicher Abend für alle gewesen, außer - komischerweise - für Maria, die nicht zu merken schien, wie ihr Verhalten den anderen auf den Geist ging.
Mit kindlicher Arglosigkeit fragte Brunetti: »Müssen wir uns jetzt deswegen streiten?«
Paola legte den Kopf an die Sofalehne und begann lauthals zu lachen. »Nein!« rief sie. »Aber mein Ton verrät wohl schon, wie wenig echtes Mitleid ich mit ihr habe. Und wie sehr mir deswegen das Gewissen schlägt.« Sie wartete, wie Brunetti auf dieses Geständnis reagieren würde, und sprach dann weiter: »Sie hätte so vieles tun können, hat es aber vorgezogen, es nicht zu tun. Sie wollte nicht, daß ihr jemand zeitweise die Kinder abnahm, so daß sie wenigstens halbtags in der Praxis eines Kollegen hätte arbeiten können; als nächstes hat sie ihre Mitgliedschaft im Zahnärzteverband erlöschen lassen; dann hat sie nach und nach das Interesse an allem verloren, was nichts mit ihren beiden Söhnen zu tun hatte; und dann ist sie fett geworden.«
Als Brunetti sicher war, daß sie geendet hatte, warf er ein: »Ich weiß nicht, wie du das jetzt aufnehmen wirst, aber das klingt mir verdächtig nach den Argumenten, die ich schon von vielen untreuen Ehemännern gehört habe.«
»Als Entschuldigung für ihre Untreue?«
»Ja.«
»Da ist ja auch was dran.« Ihr Ton klang entschieden, aber in keiner Weise böse.
Sie wollte dem offenbar nichts mehr hinzufügen, darum fragte er: »Und?«
»Und gar nichts. Das Leben hat ihr etliche Möglichkeiten geboten, mit denen alles hätte anders kommen können, aber sie hat sich nun einmal so entschieden. Ich nehme zwar an, daß jede dieser Entscheidungen die nächste unausweichlich nach sich zog, nachdem sie sich erst einmal hatte breitschlagen lassen, nicht mehr zu arbeiten und aus Venedig wegzuziehen, aber sie hat diese Entscheidungen getroffen, ohne daß ihr jemand, wie du sagst, eine Pistole an den Kopf hielt.«
»Mir tut sie leid«, sagte Brunetti. »Und er auch. Beide.«
Paola, den Kopf auf der Sofalehne, schloß die Augen und sagte: »Mir auch.« Nach einer Weile fragte sie: »Bist du eigentlich froh, daß ich meine Arbeit behalten habe?«
Er widmete dieser Frage die Bedenkzeit, die sie verdiente, und antwortete dann: »Nicht unbedingt; aber ich bin froh, daß du nicht fett geworden bist.«
11
A mnächsten Tag ließ Patta sich nicht in der Questura blicken, und die einzige Erklärung, die er dafür gab, war ein Anruf bei Signorina Elettra, in dem er ihr mitteilte, was inzwischen alle begriffen hatten, nämlich daß er nicht komme. Signorina Elettra stellte keine Fragen, rief aber Brunetti an, um ihm zu sagen, daß er infolge Pattas Abwesenheit jetzt das Kommando habe.
Um neun Uhr rief Vianello an und meldete, daß er Rossis Schlüssel aus dem Krankenhaus geholt habe und schon in der Wohnung gewesen sei. Nichts scheine in Unordnung zu sein, und an Papieren hätten nur Rechnungen und Quittungen herumgelegen. Er habe neben dem Telefon ein Adreßbuch gefunden, und Pucetti sei gerade dabei, sämtliche darin verzeichneten Nummern anzurufen. Bisher habe man als einzigen Verwandten einen Onkel in Vicenza ausfindig gemacht, der schon mit dem Krankenhaus in Kontakt stehe und die Beerdigung organisiere.
Bocchese, der Kriminaltechniker, rief kurz danach aus dem Labor an und kündigte an, er werde gleich jemanden mit Rossis Brieftasche zu Brunetti hinaufschicken.
»War etwas daran?«
»Nein, nur seine eigenen Fingerabdrücke und ein paar von dem Bübchen, das ihn gefunden hat.«
Die Möglichkeit, daß es noch einen weiteren Zeugen gegeben haben könnte, machte Brunetti augenblicklich hellhörig. »Bübchen?«
»Dieser junge Polizist. Ich kenne seinen Namen nicht. Für mich sind das alles Bübchen.«
»Franchi also.«
»Wie Sie meinen«, sagte Bocchese ohne großes Interesse. »Ich habe seine Abdrücke hier in der Kartei, sie stimmen mit denen auf der Brieftasche überein.«
»Irgendwas außerdem?«
»Nein. Ich habe mir allerdings den Inhalt der
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