Brunetti 09 - Feine Freunde
Rossi aus Venedig verliehen habe oder diesen Namen sonstwie kenne. Der Mann bat Brunetti zu warten, legte die Hand auf die Sprechmuschel und sprach mit jemandem. Danach forderte eine Frauenstimme ihn auf, sein Anliegen zu wiederholen. Nachdem er das getan hatte, sollte er wieder einen Moment warten. Der Moment dehnte sich zu mehreren Minuten aus, doch schließlich meldete die Frau sich wieder und sagte ihm, es tue ihr leid, aber sie hätten keine Unterlagen über einen Kunden dieses Namens.
Unter dem Anschluß in Ferrara meldete sich nur ein Anrufbeantworter und teilte ihm mit, daß er mit dem Büro Gavini und Cappelli verbunden sei, er möge bitte seinen Namen, seine Telefonnummer und den Grund für seinen Anruf aufs Band sprechen. Er legte auf.
In Aquilea bekam er, nach der Stimme zu urteilen, eine alte Frau an den Apparat, die sagte, sie habe noch nie von einem Franco Rossi gehört. Der Anschluß in Messina existierte nicht mehr.
Brunetti hatte in Rossis Brieftasche keinen Führerschein gefunden. Auch wenn viele Venezianer gar nicht Auto fuhren, konnte er vielleicht doch einen besessen haben; das Fehlen von Straßen allein hielt wohl kaum einen Italiener davon ab, seiner Lust an Geschwindigkeit zu frönen. Brunetti rief bei der Führerscheinstelle an und bekam die Auskunft, daß an neun Franco Rossis Führerscheine ausgegeben worden seien. Er sah auf Rossis Dienstausweis vom Ufficio Catasto nach und nannte das Geburtsdatum. Nein, für diesen Franco Rossi war kein Führerschein ausgestellt worden.
Brunetti versuchte es noch einmal bei der Nummer in Ferrara, aber dort nahm noch immer keiner ab. Jetzt klingelte bei ihm selbst das Telefon.
»Commissario?« Es war Vianello.
»Ja.«
»Wir haben soeben einen Anruf von der Polizeiwache Cannaregio bekommen.«
»Ist das die bei Tre Archi?«
»Ja, Commissario.«
»Worum geht es?«
»Ein Mann hat dort angerufen und von einem Geruch gesprochen - einem üblen Gestank -, der aus der Wohnung über ihm kam.«
Brunetti wartete; es erforderte nicht viel Phantasie, zu wissen, was jetzt kommen würde. Man bemühte einen Commissario nicht wegen eines verstopften Abflusses oder einer vergessenen Mülltonne.
»Er war Student«, kürzte Vianello alle weiteren Spekulationen ab.
»Woran ist er gestorben?«
»Sieht nach Überdosis aus. Sagen die jedenfalls.«
»Wann kam der Anruf?«
»Vor etwa zehn Minuten.«
»Ich komme mit.«
Als sie die Questura verließen, war Brunetti überrascht von der Wärme. Es war schon komisch, aber obwohl er immer den jeweiligen Wochentag und meist auch das Datum wußte, mußte er oft erst ein Weilchen überlegen, ob gerade Frühling oder Herbst war. Und als er jetzt die Hitze fühlte, mußte er diese seltsame Desorientierung erst einmal abschütteln, bevor er sich wieder erinnerte, daß Frühling war und man mit steigenden Temperaturen zu rechnen hatte.
Heute hatte ein anderer Bootsführer Dienst: Fertile, den Brunetti antipatico fand. Sie gingen an Bord: Brunetti, Vianello und zwei Mann von der Spurensicherung. Einer von ihnen löste die Leinen, und sie fuhren hinaus ins bacino, um kurz darauf von dort in den Rio dell'Arsenale einzubiegen. Fertile schaltete die Sirene ein und brauste durch das stille Wasser des Arsenale, wobei er das 52er Vaporetto schnitt, das gerade vom Campo della Tana ablegte. »Wir müssen die Stadt nicht wegen eines Atomunfalls evakuieren, Fertile«, sagte Brunetti.
Der Bootsführer blickte über die Schulter zurück zu den Männern an Deck. Dann nahm er eine Hand vom Steuer, und die Sirene verstummte. Brunetti hatte zwar den Eindruck, daß der Bootsführer jetzt sogar noch Tempo zulegte, aber er verkniff sich weitere Kommentare. Hinter dem Arsenale schwenkte Fertile scharf nach links, und dann ging es an den üblichen Haltestellen - Ospedale Civile, Fondamenta Nuove, Madonna dell'Orto und San Alvise - vorbei bis in den Canale di Cannaregio. Gleich hinter dem ersten Bootsanleger sahen sie einen Polizisten am Ufer stehen, der ihnen zuwinkte, als sie näher kamen.
Vianello warf ihm die Leine zu, und der Mann bückte sich, um sie an dem Eisenring festzumachen. Als er dann Brunetti sah, salutierte er und streckte die Hand aus, um ihm vom Boot zu helfen.
»Wo ist es?« erkundigte sich Brunetti, sowie er festen Boden unter den Füßen hatte.
»Hier, in diese calle hinein, Commissario«, sagte der Polizist, wobei er sich schon umdrehte und in die schmale Gasse einbog, die vom Kanal fort und ins eigentliche Cannaregio
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