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Brunetti 09 - Feine Freunde

Brunetti 09 - Feine Freunde

Titel: Brunetti 09 - Feine Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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hinsehen oder das Gesehene verstehen wollen. Er hatte nicht allzusehr darauf geachtet, wie abgemagert Zecchino gewesen war und was das wohl bedeuten mochte.
    Statt auf Rizzardis Frage zu antworten, fragte er seinerseits: »Und das Mädchen?«
    »Nicht ganz so schlimm; die Infektion war noch nicht so weit fortgeschritten. Deswegen war sie wohl auch noch stark genug, um sich zur Wehr zu setzen.«
    »Aber was ist denn mit diesen neuen Medikamenten?
    Haben sie die denn nicht genommen?« erkundigte sich Brunetti, als glaubte er, Rizzardi habe darauf eine Antwort.
    »Das weiß ich auch nicht, Guido«, antwortete Rizzardi geduldig, denn ihm war eingefallen, daß er mit einem Mann sprach, dessen Kinder kaum jünger waren als die beiden Opfer. »Aber ich habe in ihrem Blut und auch sonst nirgendwo in ihren Körpern einen Hinweis darauf gefunden, daß sie Medikamente nahmen. Drogenabhängige tun das meist nicht.«
    Sie zogen es beide vor, dieses Thema nicht zu vertiefen. Statt dessen fragte Brunetti: »Was ist denn nun mit dem Biß? Erzählen Sie.«
    »Sie hatte ziemlich viel Fleisch zwischen den Zähnen hängen. Der, den sie gebissen hat, muß eine scheußliche Wunde haben.«
    »Ist die Krankheit auf diese Weise übertragbar?« fragte Brunetti und wunderte sich selbst, daß er nach all den Jahren, in denen er überall davon gelesen und dauernd davon gehört hatte, noch immer nicht besser Bescheid wußte.
    »Theoretisch ja«, antwortete Rizzardi. »In der medizinischen Literatur sind Fälle beschrieben, in denen das offenbar der Übertragungsweg war, aber aus erster Hand habe ich nie von so etwas gehört. Ich halte es für möglich. Aber die Krankheit ist nicht mehr, was sie noch vor Jahren war. Mit den neuen Medikamenten hat man sie ganz gut im Griff, besonders wenn man früh mit der Einnahme beginnt.«
    Brunetti hörte zu und machte sich dabei Gedanken über die möglichen Folgen einer Unwissenheit wie der seinen. Wenn selbst er, ein Mensch, der viel las und einigermaßen über das Geschehen in der Welt Bescheid wußte, keine Ahnung hatte, wie ansteckend ein Biß sein konnte, aber dennoch ein tiefsitzendes Grauen davor hatte, daß die Krankheit auf diese Weise weitergegeben werden konnte, dann brauchte man sich nicht zu wundern, wenn diese Angst sehr weit verbreitet war.
    Er wandte seine Aufmerksamkeit nun aber wieder Rizzardi zu. »Wie schwerwiegend ist der Biß?«
    »Ich schätze, daß ihm am Arm ein ordentlicher Batzen Fleisch fehlt«, sagte Rizzardi, und ehe Brunetti nachfragen konnte, erklärte er schon: »Sie hatte auch Haare im Mund. Wahrscheinlich vom Unterarm.«
    »Wie groß wird die Wunde sein?«
    Rizzardi überlegte kurz, dann meinte er: »Wie bei einem Hundebiß, sagen wir von einem Cockerspaniel.« Sie gingen beide auf diesen bizarren Vergleich nicht weiter ein.
    »So groß, daß man damit zum Arzt gehen würde?« fragte Brunetti.
    »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Bei einer Entzündung ja«
    »Oder wenn der Gebissene wußte, daß sie positiv war?« fragte Brunetti weiter. »Oder wenn er es hinterher erfährt?« Wenn einer wüßte, daß er von einem HIV-Positiven gebissen worden war, würde er doch in heller Panik zum erstbesten Arzt rennen, der ihm sagen konnte, ob er sich angesteckt hatte, da war Brunetti sich ganz sicher. Er überlegte, was das für die Polizei bedeutete: Sie würden Ärzte anrufen müssen, die Notfallambulanzen der Krankenhäuser verständigen und mit Apotheken Kontakt aufnehmen, in denen der Mörder sich vielleicht mit Verbandszeug und Antiseptika versorgen wollte.
    »Gibt es noch etwas?« fragte Brunetti.
    »Er hätte diesen Sommer nicht überlebt, das Mädchen vielleicht noch das nächste Jahr, aber viel länger auch nicht.« Rizzardi schwieg kurz, dann fragte er mit völlig anderer Stimme: »Meinen Sie, es hinterläßt bei uns Narben, Guido - was wir alles sagen und tun müssen?«
    »Gütiger Himmel, das will ich nicht hoffen«, antwortete Brunetti leise. Dann sagte er noch zu Rizzardi, daß er sich wieder melden werde, sobald er wisse, wer das Mädchen sei, und legte auf.

22
    E r rief unten im Bereitschaftsraum an und gab Anweisung, neu eingehende und in den letzten Wochen eingegangene Vermißtenmeldungen daraufhin zu prüfen, ob sich eine davon auf ein etwa siebzehnjähriges junges Mädchen bezog. Aber noch während er das durchgab, war er sich vollkommen über die Möglichkeit im klaren, daß niemand dieses Mädchen als vermißt melden würde: Viele Jugendliche waren ihren Eltern

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