Brunetti 09 - Feine Freunde
wollte noch wissen, wie alt er ist.«
»Und was haben Sie ihr gesagt?« erkundigte sich Brunetti, der wußte, daß sie gar keinen Bruder hatte.
»Siebenunddreißig, und daß er schon seit Jahren spielt.« Signorina Elettra ließ sich die Ereignisse des Nachmittags noch einmal kurz durch den Kopf gehen und meinte schließlich: »Signora Volpato war sehr freundlich.«
»Ach, wirklich? Was hat sie getan?«
»Sie hat mir noch ein Bildchen der heiligen Rita geschenkt und gesagt, daß sie für meinen Bruder beten will.«
23
D as einzige, was Brunetti an diesem Nachmittag noch erledigte, bevor er nach Hause ging, war seine Unterschrift unter das Formular, das Marco Landis Leiche freigab, so daß sie in sein Heimatdorf überführt werden konnte. Danach rief er unten an und fragte Vianello, ob er bereit sei, den Leichnam nach Trient zu begleiten. Vianello willigte sofort ein und meinte nur, da morgen sein freier Tag sei, wisse er nicht, ob er seine Uniform tragen dürfe.
Brunetti sagte, ohne sich lange zu fragen, ob er dazu befugt war: »Ich ändere den Dienstplan«, und damit zog er schon eine Schublade auf, um nach dem Plan zu suchen, der unter den vielen Papieren begraben lag, die allwöchentlich auf seinen Schreibtisch kamen, um dort zunächst unbeachtet zu bleiben und schließlich ungelesen weggeworfen zu werden. »So, jetzt sind Sie im Dienst und können Ihre Uniform tragen.«
»Und wenn die Eltern von mir wissen wollen, was sich hier tut, ob wir schon weitergekommen sind?« fragte Vianello.
»Das werden sie nicht fragen, noch nicht«, antwortete Brunetti, ohne sicher zu sein, woher er das wußte, nur, daß er es wußte.
Zu Hause fand er Paola auf der Terrasse, die Füße auf einem der Rattanstühle, die wieder einmal einen Winter lang den Elementen standgehalten hatten. Sie lächelte zu ihm auf und nahm die Füße von dem Stuhl; er nahm die Einladung an und setzte sich ihr gegenüber.
»Soll ich mich erkundigen, wie es dir heute ergangen ist?« fragte sie.
Er setzte sich bequemer hin und schüttelte den Kopf, rang sich aber doch noch ein Lächeln ab. »Nein, ein Tag wie jeder andere.«
»Ausgefüllt mit...?«
»Zinswucher, Korruption und Habgier.«
»Also tatsächlich ein Tag wie jeder andere.« Sie nahm einen Umschlag aus dem Buch, das sie auf dem Schoß liegen hatte, und beugte sich weit vor, um ihn Brunetti zu reichen. »Vielleicht hilft dir das«, meinte sie.
Er nahm den Umschlag und betrachtete ihn. Absender war das Ufficio Catasto, und Brunetti wußte nicht so recht, wie ihm das in irgendeiner Weise würde helfen können.
Er zog den Brief aus dem Umschlag und las. »Ist das ein Wunder?« fragte er. Wieder betrachtete er den Brief, dann las er den letzten Satz laut vor: »Nachdem nunmehr ausreichendes Urkundenmaterial vorgelegt wurde, gelten alle bisherigen Schreiben unsererseits durch diese Verfügung einer nachträglichen Baugenehmigung als erledigt.«
Brunetti ließ die Hand mit dem Brief auf seinen Schoß fallen. »Heißt das, was ich darunter verstehe?« fragte er.
Paola nickte, ohne zu lächeln oder den Blick zu wenden.
Er suchte nach den richtigen Worten und dem richtigen Ton, und nachdem er beides gefunden hatte, fragte er: »Könntest du dich vielleicht etwas genauer äußern?«
Ihre Antwort kam prompt. »Ich verstehe das so, daß die Sache erledigt ist. Die notwendigen Unterlagen haben sich gefunden, und wir müssen nicht verrückt darüber werden.«
»Gefunden?« wiederholte er.
»Gefunden.«
Er sah das Blatt an, den Text, in dem das Wort »vorgelegt« stand, faltete den Brief zusammen, steckte ihn wieder in den Umschlag und überlegte, wie er es fragen sollte - und ob er es fragen sollte.
Er gab ihr den Umschlag zurück. Als er dann endlich fragte, hatte er seinen Ton noch im Griff, aber schon nicht mehr seine Worte: »Hatte dein Vater die Finger im Spiel?«
Brunetti beobachtete sie. Er kannte sie gut genug, um zu merken, daß sie überlegte, ob sie ihn anlügen sollte. Er merkte auch, daß sie diesen Gedanken schließlich verwarf. »Wahrscheinlich.«
»Inwiefern?«
»Wir haben über dich gesprochen«, begann sie, und Brunetti versuchte sich sein Erstaunen darüber, daß Paola mit ihrem Vater über ihn sprach, nicht anmerken zu lassen. »Er hat mich gefragt, wie es dir geht, was deine Arbeit macht, und ich habe ihm gesagt, daß du im Augenblick mehr als die üblichen Probleme hast.« Bevor er ihr vorwerfen konnte, sie verrate seine Dienstgeheimnisse, fügte sie schon hinzu:
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