Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Titel: Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
Decke hing.
    Brunetti ließ reichlich eine Minute verstreichen, aber das Mädchen starrte unverwandt weiter die Lampe an. Da wandte er sich nach der alten Frau um und hob fragend die Brauen.
    Sie trat vor, doch als er Miene machte aufzustehen, legte sie ihm die Hand auf die Schulter und drückte ihn in seinen Stuhl zurück. »Lucia«, sagte sie, »ich finde, Sie sollten mit dem Commissario reden.«
    Lucia sah erst die alte Frau an, dann Brunetti. »Ist sie tot?«
    »Ja.«
    »Ermordet?«
    »Ja«, sagte Brunetti wieder.
    Das Mädchen sann eine Weile vor sich hin, dann sagte sie: »Ich bin gegen neun nach Hause gekommen. Ich war über Nacht in Treviso und kam heim, um mich umzuziehen und meine Bücher zu holen. Ich habe heute morgen ein Seminar.« Sie blinzelte ein paarmal und sah zum Fenster. »Ist es noch morgen?«
    »Es ist gleich elf«, sagte die alte Frau. »Soll ich Ihnen etwas zu trinken holen, Lucia?«
    »Vielleicht ein Glas Wasser«, sagte das Mädchen.
    Wieder tätschelte die alte Frau Brunetti die Schulter, dann ging sie, schwer auf das rechte Bein gestützt, aus dem Zimmer.
    Als sie draußen war, fuhr das Mädchen fort: »Ich kam also zurück, ging nach oben, und als ich die Wohnungstür aufmachte, sah ich sie am Boden liegen. Erst dachte ich, sie wäre vielleicht gestürzt, aber dann habe ich das Blut auf dem Teppich gesehen. Ich stand da und wußte nicht, was ich tun sollte. Ich glaube, ich hab geschrieen. Ja, so muß es wohl gewesen sein, denn gleich darauf kam Signora Gallante und nahm mich mit herunter. Das ist alles, woran ich mich erinnere.«
    »War die Wohnungstür abgeschlossen?« fragte Brunetti.
    Sie überlegte einen Moment, und Brunetti spürte, wieviel Überwindung es sie kostete, sich die Szene wieder in Erinnerung zu rufen. Endlich sagte sie: »Nein, ich glaube nicht. Das heißt, ich erinnere mich nicht, meinen Schlüssel benutzt zu haben.« Ein langes Schweigen folgte, dann räumte sie ein: »Aber ich könnte mich irren.«
    »Ist Ihnen draußen jemand aufgefallen?«
    »Wann?«
    »Als Sie nach Hause kamen.«
    »Nein«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Da war niemand.«
    »Auch Leute, die Sie kennen, kämen in Frage, Nachbarn zum Beispiel«, sagte Brunetti. Und als sie ihm einen argwöhnischen Blick zuwarf, erklärte er: »Vielleicht ist denen ja jemand aufgefallen.«
    Wieder schüttelte sie den Kopf. »Nein, ich hab niemanden gesehen.«
    Brunetti wußte, daß diese Fragen wahrscheinlich ohnehin sinnlos waren. Die Farbe des Blutes auf dem Teppich ließ darauf schließen, daß Claudia bei Lucias Heimkehr bereits längere Zeit tot war. Der Gerichtsmediziner würde es genauer bestimmen können, aber Brunetti wäre nicht überrascht zu hören, daß sie die ganze Nacht dort gelegen hatte. Trotzdem mußte er dem Mädchen klarmachen, wie wichtig es war, alle seine Fragen zu beantworten, damit sie, wenn er zu denen kam, die vielleicht auf die Spur des Mörders führten, antworten würde, ohne die Folgen abzuwägen, Folgen für jemanden, der ihr womöglich bekannt war.
    Der junge Polizist kam herein und meldete: »Der Doktor ist jetzt da, Commissario.«
    Brunetti erhob sich, sagte etwas, das dem Mädchen Trost spenden sollte, und ging. Auf dem Flur traf er mit Signora Gallante zusammen, die ein Glas Wasser für Lucia brachte. Hinter ihr kam ein Jüngling, den ohne die nagelneue schwarze Arzttasche in seiner Rechten gewiß niemand für einen fertigen Mediziner gehalten hätte.

10
    N ach ein paar Minuten trat Signora Gallante aus dem Schlafzimmer und ging auf Brunetti und Vianello zu. »Der Doktor meint, sie solle bei mir bleiben, bis ihre Eltern aus Mailand kommen und sie nach Hause holen.«
    »Haben Sie die Familie verständigt?«
    »Ja, gleich nachdem ich Sie angerufen hatte.«
    »Und kommen sie?«
    »Ich habe mit Lucias Mutter gesprochen. Sie war ein paarmal hier und hat ihre Tochter besucht, daher kennt sie mich. Sie sagte, sie würde ihren Mann in der Arbeit anrufen, und dann hat sie noch mal zurückgerufen und gesagt, sie würden sofort aufbrechen.«
    »Womit?«
    »Danach habe ich nicht gefragt«, sagte Signora Gallante, erstaunt über eine solche Frage. »Aber die anderen Male kam Lucias Mutter immer mit dem Auto.«
    »Wie lange ist es her, daß Sie mit der Signora gesprochen haben?«
    »Oh, eine halbe Stunde, vielleicht auch eine ganze. Jedenfalls gleich nachdem ich Lucia oben gefunden und sie zu mir heruntergebracht hatte. Erst habe ich die Polizei verständigt und dann ihre Eltern

Weitere Kostenlose Bücher