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Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Titel: Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Wülsten über dem gestärkten Kragen.
    Brunetti sah wohl, daß der Alte ihn musterte, aber da das Licht nicht bis zu Filipettos Augen reichte, war er außerstande, sein Mienenspiel zu deuten. »Sì?« fragte Filipetto mit der gleichen brüchigen Falsettstimme wie vorhin.
    »Notaio«, begann Brunetti und trat näher, um Filipettos Gesicht besser sehen zu können, »ich bin Commissario Guido Brunetti, und...«, aber der alte Mann schnitt ihm das Wort ab.
    »Ich weiß, wer Sie sind. Ich habe Ihren Vater gekannt.«
    Brunetti war so überrascht, daß er einen Moment brauchte, um seine Fassung wiederzugewinnen, aber dann sah er, wie die dünnen Lippen sich leicht emporkräuselten. Filipettos Gesicht war lang und schmal; die Haut schimmerte wächsern. Die dünnen weißen Haarbüschel auf dem braungesprenkelten Schädel erinnerten an den mageren Flaum kranker Hühner. Als Brunettis Augen sich so weit an das schummrige Licht gewöhnt hatten, daß er die trübe, pergamentene Iris seines Gegenübers sehen konnte, fing er auch den verschlagenen Blick auf, mit dem Filipetto unter schweren Lidern hervorblinzelte.
    »Er war ein pflichtbewußter Mann, Ihr Vater«, erklärte Filipetto in offenkundig bewunderndem Ton. Weiter sagte er nichts, aber seine Lippen bewegten sich unaufhörlich und glitten mummelnd an dem falschen Gebiß auf und ab.
    Die Bemerkung über seinen Vater genügte, um alles, was Brunetti über den Notar gehört hatte, zu bestätigen. »Ja, das war er, Signore. Und Pflichtbewußtsein war eine der Tugenden, zu denen er uns erzogen hat.«
    »Sie haben einen Bruder, nicht wahr?« fragte der Alte.
    »Ja, Signore.«
    »Gut. Ein Mann sollte Söhne haben.« Brunetti hatte keine Ahnung, was darauf die passende Antwort sei, aber Filipetto half ihm aus der Verlegenheit, indem er gleich weiterfragte: »Was hat er Ihnen noch beigebracht?«
    Brunetti registrierte dunkel, daß die Frau immer noch in der Tür stand und daß Vianello sich unwillkürlich gestrafft hatte, um, soweit seine kanariengelbe Krawatte das zuließ, soldatische Haltung anzunehmen.
    »Pflichtgefühl, Ehre, Achtung vor der Fahne, Disziplin«, zählte Brunetti auf, nach Kräften bemüht, sich all die Werte faschistischer Ideologie ins Gedächtnis zu rufen, die ihm stets besonders lächerlich erschienen waren, die er aber jetzt in ernstem Ton rezitierte. Er spürte, wie Vianello neben ihm, scheinbar durchdrungen von der markigen Kraft dieser Ideale, erst recht strammstand.
    »Setzen Sie sich, Commissario«, sagte Filipetto, der Vianello keinerlei Beachtung schenkte. »Eleonora, rück ihm den Stuhl zurecht«, befahl er. Die Frau trat näher, und Brunetti zwang sich zu warten wie einer, der es gewöhnt ist, sich von Frauen bedienen zu lassen. Sie schob einen Stuhl vor den Schreibtisch, und ohne sie eines Dankes zu würdigen, nahm Brunetti dem alten Mann gegenüber Platz.
    »Was führt Sie zu mir?« fragte Filipetto.
    »Im Zuge einer unserer Ermittlungen ist Ihr Name aufgetaucht, Signore, und als ich ihn las, da...« Brunetti unterbrach sich mit einem verlegenen Lachen. Dann sah er den Alten an und fuhr fort: »Also, ich erinnerte mich daran, wie mein Vater immer von Ihnen gesprochen hat, Signore, und da wollte ich mir ehrlich gesagt die Chance nicht entgehen lassen, Sie endlich einmal persönlich kennenzulernen.«
    In Wahrheit hatte der Vater seiner Erinnerung nach Filipetto nur einmal erwähnt, und zwar als er gegen die Männer wütete, die während des Krieges den Staatssäckel dreister als alle anderen geplündert hatten. Filipettos Name hatte nicht ganz oben auf der Liste rangiert - der Platz blieb dem Gauner vorbehalten, der der Armee das Pappmachéschuhwerk angedreht hatte, in dem Brunettis Vater sechs Zehen erfroren waren -, aber er gehörte dazu, wie all die anderen, die so geschmeidig aus den Reihen der Kriegsgewinnler in die Elite der pazifistischen Nachkriegsgesellschaft aufgestiegen waren.
    Ein zufälliger Blick des Alten streifte Vianello, und als er das beifällige Lächeln sah, mit dem dieser die letzte Bemerkung seines Vorgesetzten quittierte, sagte er: »Sie können auch Platz nehmen.«
    »Danke, Signore.« Steif und respektvoll ließ Vianello sich auf einer Stuhlkante nieder und tat so, als lausche er andächtig den Einsichten, an denen diese beiden Männer ihn teilhaben ließen und die seine eigenen politischen Ideale scheinbar so trefflich widerspiegelten.
    Brunetti nutzte den Moment, in dem Fihpetto durch Vianello abgelenkt war, um einen Blick

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