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Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Titel: Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Mingardo abschließend, »nur das, was meine Schwiegermutter erzählt hat und die Signora natürlich.«
    »Was ist mit ihrer Familie?«
    »Ich glaube, die ist noch dort unten, aber Salima spricht nicht darüber.«
    Sie überquerten den Rio di Sant'Agostin und gelangten rasch auf den Campo. »Irgendwo hier rechts muß es sein«, sagte Mingardo und bog in die erste calle ein. »Ich hoffe doch, daß sie zu Hause ist. Seit dem Tod der Signora ist sie nicht mehr gekommen, und ich weiß nicht, ob sie sich trauen würde, auf eigene Faust eine neue Stelle zu suchen.« Mingardo betrat die Stufe zum Hauseingang, las die Namen auf den Klingelschildern und läutete beim untersten. Brunetti konnte erkennen, daß dort »Luisotti« stand, was nicht gerade nach einem afrikanischen Namen klang.
    »Sì?« fragte eine Frauenstimme.
    »Ich bin's, Salima, Mario. Ich komme wegen der Signora.«
    Sie mußten lange warten, bevor sie Schritte im Flur hörten, und es dauerte noch länger, bis die Tür sich einen Spaltbreit öffnete. Mingardo drückte mit der Hand dagegen, zwängte sich hinein und hielt Brunetti die Tür auf.
    Als die Frau drinnen einen zweiten Mann sah, fuhr sie herum, ehe der Commissario sie recht hatte anschauen können, und machte einen Schritt auf die halboffene Wohnungstür hinten im Gang zu. Aber Mingardo rief: »Er ist ein Freund, Salima. Es ist alles in Ordnung.«
    Sie blieb wie angewurzelt stehen, einen Arm immer noch ausgestreckt, um Schwung zu holen für ihre Flucht ins sichere Versteck. Langsam drehte sie sich nach den beiden Männern um, und als er ihr Gesicht sah, holte Brunetti kurz Luft, so beeindruckt war er von ihrer Schönheit und dem Umstand, daß Mingardo kein Wort darüber verloren hatte.
    Sie war Ende Zwanzig, vielleicht sogar jünger. Ihr schmales Gesicht, der kleine Kopf, die fein gebogene Nase und die vollkommene Mandelform ihrer Augen erinnerten ihn an die Büste der Nofretete, die er vor vielen Jahren im Ägyptischen Museum in Berlin gesehen hatte. Die Haut unter ihren Augen war noch um eine Schattierung dunkler als der Mahagoniteint von Stirn und Wangen, doch der Kontrast ließ ihre Zähne und das Weiße in ihren Augen nur um so strahlender erscheinen. Mein Gott, dachte er unwillkürlich, wie müssen wir diesen Menschen wohl vorkommen: wie riesige Kartoffelklöße mit kleinen Puddingaugen? Wie derbe, schlecht geräucherte Fleischberge? Wie ertragen sie bloß den Anblick unserer blassen, übergewichtigen Leiber, und was mag es für ein Gefühl sein, aus der Warte solch vollkommener Schönheit in unsere unansehnlichen Bleichgesichter zu schauen?
    Mario nannte Brunettis Namen, und der Commissario trat vor und bot ihr die Hand, in der Hoffnung, es möge eine Geste der Freundschaft sein und nicht die des Verrats. »Ich würde gern mit Ihnen reden, Signora«, sagte er.
    Mingardo blickte erst auf seine Uhr, dann sah er die Frau an. »Du kannst ihm vertrauen, Salima. Ich muß zurück in den Laden, aber bei ihm bist du in guten Händen. Er ist mein Freund.«
    Er lächelte erst ihr zu und dann Brunetti, bevor er kehrtmachte und rasch hinausging, ohne einem von beiden die Hand zu geben.
    Die Frau hatte immer noch nichts gesagt und sich auch nicht von der Stelle gerührt. Aber sie betrachtete Brunetti aufmerksam, als versuche sie abzuschätzen, welche Gefahr von diesem Mann ausgehen mochte, auch wenn Mingardo ihn als seinen Freund vorgestellt hatte.
    Endlich löste sie sich aus ihrer Erstarrung, drehte sich vollends um und schritt auf ihre Wohnung zu. Es blieb Brunetti überlassen, ihr zu folgen. An der Tür hielt sie kurz inne und machte eine kleine Verbeugung; ein geheiligtes Ritual der Gastfreundschaft, das selbst diesem Fremden gegenüber nicht vernachlässigt werden durfte, so gefährlich er auch sein mochte.
    »Wenn Sie gestatten«, sagte Brunetti, betrat hinter ihr die Wohnung und legte die Hand auf die Türklinke. Als sie seinen fragenden Blick sah, bedeutete die Frau ihm mit einer Geste, er solle die Tür schließen. Er tat wie ihm geheißen, und dann sah er sich im Zimmer um. Auf dem Fußboden eine einfache Binsenmatte, dahinter ein Diwan mit einem dunkelgrünen, bestickten Überwurf und einem Stapel Kissen, die ebenfalls mit Stickereien verziert waren. Ein kleiner Tisch und zwei Stühle und an einer Wand eine Kommode mit fünf Schubladen. Auf dem Tisch eine ovale Holzschale mit Äpfeln und an der rückwärtigen Wand eine Kochplatte und ein kleines Spülbecken, darüber ein zweitüriges

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