Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
weniger zu beunruhigen schienen als sonst. Trotzdem wäre es Brunetti nicht im Traum eingefallen zu erwähnen, daß zwischen dem Tod von Claudia Leonardo und dem der Signora Jacobs ein Zusammenhang bestehen könnte.
Der Tag verstrich und ebenso ein zweiter, ohne daß sich etwas Nennenswertes ereignet hätte. Claudias Tante in England bombardierte die Questura erst mit Fragen und dann Forderungen nach der Freigabe von Claudias Leiche, die sie zur Beisetzung überführen wollte, aber der Bürokratie waren die nötigen Zugeständnisse nicht abzuringen, und so verblieb der Leichnam in Venedig. Als Brunetti am dritten Tag bewußt wurde, daß er nicht mehr an »das Mädchen« dachte, wenn von Claudia die Rede war, sondern an »die Leiche«, hörte er auf, die Faxe der Tante zu lesen. Signorina Elettra fuhr nach Mailand zu einem Lehrgang über das neuste Hexeneinmaleins der Computerkunde, und ihre Abwesenheit verstärkte noch die lähmende Stimmung, die sich seit neuestem in der Questura breitgemacht hatte. Signora Jacobs wurde auf dem protestantischen Teil des Friedhofs beigesetzt. Brunetti, der nicht an der Trauerfeier teilnahm, sorgte indes dafür, daß ein Team von der Kriminaltechnik in ihre Wohnung entsandt wurde, um die Kunstwerke vor Ort abzulichten und vollständig zu katalogisieren.
Und so schleppte sich der Fall dahin, bis Brunetti eines Morgens, als er ein Jackett anzog, das er seit einer Woche nicht mehr getragen hatte, in die Tasche faßte und den Schlüssel zu Signora Jacobs' portone herauszog. Auch ohne Namensschild oder Schlüsselring erkannte er ihn sofort, und da es ein heiterer Morgen war und er sich erinnerte, daß es bei San Boldo eine besonders gute pasticceria gab, beschloß er, einen Spaziergang dorthin zu machen, sich einen Kaffee und eine Brioche zu genehmigen, den Schlüssel zurückzugeben und bei der Gelegenheit mit dem tabaccaio zu sprechen, bevor er mit dem Vaporetto zur Arbeit fuhr.
Die Brioche belohnte ihn reichlich für den Fußmarsch: Sie war knusprig und doch weich; mit mehr Marmelade gefüllt, als den meisten lieb gewesen wäre, und also genau nach Brunettis Geschmack. In dem erhebenden Gefühl, einer zweiten widerstanden zu haben, ging Brunetti an der Tür zu Signora Jacobs' Haus vorbei und betrat das Tabakgeschäft. Der Mann hinter der Ladentheke erschrak, als er ihn sah, und rief, noch bevor Brunetti etwas sagen konnte: »Ich weiß, ich weiß, ich hätte Sie anrufen sollen. Aber ich wollte nicht, daß sie Ungelegenheiten bekommt. Sie ist eine gute Frau.«
Obwohl er genauso überrascht war wie sein Gegenüber, hatte Brunetti die Geistesgegenwart, ganz ruhig zu erwidern: »Das bezweifle ich nicht. Aber Sie hätten uns trotzdem verständigen sollen. Es hätte ja wichtig sein können.« Seine besonnene Rede erweckte den Eindruck, er wisse zwar bereits alles, was der Mann ihm mitteilen könnte, würde es aber trotzdem gern aus seinem Munde hören. Dann zog er den Schlüssel aus der Tasche und hielt ihn in die Höhe, als sei dies der Glücksfund, der ihn hergeführt habe, um die ganze Geschichte zu erfahren.
Der Mann preßte die Arme an den Körper und ballte die Hände zu Fäusten, um zu zeigen, daß er den Schlüssel keinesfalls zurücknehmen werde. »Nein, ich will ihn nicht.« Und er schüttelte den Kopf, um seiner Beteuerung Nachdruck zu verleihen. »Behalten Sie ihn. Schließlich ist er doch der Grund für den ganzen Ärger, nicht?«
Brunetti nickte und schob den Schlüssel wieder in seine Jackentasche. Er wußte nicht recht weiter, hatte aber den Eindruck, daß der Mann sich kaum mehr vorzuwerfen habe als das peinliche Versäumnis hinsichtlich dieser »guten Frau«, wer immer das sein mochte. »Warum haben Sie denn nicht angerufen? Ich meine, was hätte ihr denn schon groß passieren können?« fragte er in der Hoffnung, das klänge harmlos genug, um dem Mann Näheres zu entlocken.
»Na, sie ist eine Illegale. Und sie arbeitet schwarz. Sie hatte panische Angst, man könnte sie ausweisen, wenn die Sache herauskäme, und daß Sie sie zurückschicken würden.«
Brunetti gestattete sich ein Lächeln. »Das steht kaum zu befürchten, es sei denn, sie tut etwas...« Er hatte sagen wollen, es bestünde keine Gefahr, solange die Frau, wer immer sie war, nichts Ungesetzliches tue, aber er wollte dem Mann nicht einmal diese Möglichkeit offenbaren und beendete deshalb seinen Satz mit den Worten: »... es sei denn, sie macht Dummheiten.«
»Ich weiß, ich weiß«, rief der Mann, hob
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