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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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regelrecht in Wallung geraten. Rote Flecken, so groß wie Golfbälle, flammten auf seinen Wangen auf. Er sah Brunetti herausfordernd an, doch der blieb stumm, und das schien ihn erst recht in Rage zu bringen. »Ich weiß nicht, warum du dich für Moro interessierst, aber es ist auf alle Fälle gut, daß man den Mann mal genauer unter die Lupe nimmt.«
    »Und warum?« fragte Brunetti.
    Perulli stellte die übereinandergeschlagenen Beine wieder nebeneinander, beugte sich mit dem Oberkörper bis zu den Knien vor und stach mit dem rechten Zeigefinger in die Luft wie mit einem Taktstock: »Weil er ein scheinheiliger Hund ist mit seinem ewigen Gerede von Betrug und Unlauterkeit und ...« Hier rutschte seine Stimme unversehens in eine tiefere Tonlage, und er dehnte die Endsilben der Wörter ganz so, wie Moro es zu tun pflegte. »Wir dürfen unsere Verantwortung den Bürgern gegenüber nicht länger vernachlässigen«, fuhr er mit seiner hämisch übertriebenen Parodie fort. »Und unsere Ämter und dieses Hohe Haus nicht weiter so behandeln, als wären sie der Trog und wir eine Herde Schweine.«
    Brunetti war darauf gefaßt, daß es noch eine Weile so weitergehen würde, denn Augusto hatte nie gewußt, wann ein Witz ausgereizt war. Doch zu seiner Überraschung brach Perulli seinen Auftritt als Moro-Imitator ebenso abrupt ab, wie er ihn begonnen hatte. Aber der Versuchung, Brunetti ein letztes Mal mit ihm zu reizen, konnte er nicht widerstehen. »Falls er was ausgefressen hat, wundert mich das gar nicht: Er ist eben auch nicht anders als wir.«
    »Die ihr mit den Vorderbeinen im Trog steht?« fragte Brunetti sanft.
    Genausogut hätte er den anderen ins Gesicht schlagen können. Perulli schoß nach vorn, und seine Rechte schnappte nach Brunettis Kehle. Vor lauter Wut übersah er den niedrigen Tisch zwischen ihnen, prallte mit dem Schienbein dagegen und flog mit voller Wucht über die Tischplatte.
    Brunetti war geistesgegenwärtig aufgesprungen. Als er Perulli wie benommen auf dem Boden landen sah, bückte er sich, um ihm aufzuhelfen, stutzte und zog die ausgestreckte Hand wieder zurück. Gespannt rückte er näher und neigte sich tiefer, um besser sehen zu können. Perullis nackenlange Haare waren im Sturz nach vorn gefallen, wodurch hinter seinem linken Ohr eine kleine sichelförmige Narbe sichtbar wurde. So also hatte er sich sein jugendliches Aussehen bewahrt! Voll Genugtuung darüber, Perullis Geheimnis entdeckt zu haben, richtete Brunetti sich auf. Er wartete noch, bis Perulli die Knie anzog und die Handflächen neben sich auf den Boden stemmte, dann machte er kehrt und verließ die Wohnung.

8
    A ls er auf die Straße hinaustrat und auf die Uhr sah, stellte Brunetti überrascht fest, daß es schon fast fünf war. Plötzlich hatte er großen Hunger, stand aber vor dem Problem, daß er sich genau auf halbem Weg zwischen dem Präsidium und seiner Wohnung befand. Was er zu Hause an Eßbarem vorfinden würde, wußte er nicht; außerdem wäre es, bis er heimkam und sich etwas zurechtgemacht hatte, zu spät, um noch einmal in die Questura zurückzukehren. Also lenkte er seine Schritte nach San Marco und rief sich jede Bar oder Trattoria ins Gedächtnis, die er auf dem Weg dorthin kannte. Was ihn in dieser Richtung erwartete, war indes so wenig verlockend, daß er kurzerhand wieder kehrtmachte und via Campo Sant' Angelo zum Campo San Fantin zurückging. Natürlich war es lächerlich, sich so aufzuführen, denn er hatte schließlich aus freien Stücken aufs Mittagessen verzichtet, trotzdem badete er bald in einer Woge von Selbstmitleid: Da verausgabte man sich rastlos im Dienst, gab von früh bis spät sein Bestes, und dann überfiel einen der Hunger um eine Zeit, zu der man nirgendwo etwas zu essen bekam.
    Unvermittelt fiel ihm eine der wenigen Geschichten ein, die sein Vater vom Krieg erzählt hatte. Allerdings in immer anderen Variationen, weshalb sie sich in Brunettis Erinnerung ziemlich verworren ausnahm. Kurz nach Kriegsende, als sein Vater, eben aus der Gefangenschaft entlassen, mit zwei Kameraden durch Niedersachsen marschiert war, hatte sich ihnen ein streunender Hund angeschlossen, der wie durch ein Wunder heil unter einem zerbombten Haus hervorgekrochen kam. Am nächsten Tag verzehrten die Männer den Hund. Für Brunetti hatte diese Geschichte im Lauf der Jahre eine geradezu magische Faszination gewonnen, und sie kam ihm immer dann in den Sinn, wenn jemand übers Essen sprach, als handele es sich um ein modisches

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