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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Endlich sagte er:
    »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«
    Bisher hatte Brunetti weniger auf den Wortlaut ihres Gesprächs geachtet und sich statt dessen mehr auf Moros Tonfall konzentriert, auf seine Gesten, die Art, wie er dasaß, die Nuancen in seiner Stimme - und dabei erkannt, wie weit der Mann seinem Schmerz entrückt war, als hätte man sein Herz gleichsam in Schutzhaft genommen und zur Beantwortung allfälliger Fragen nur den Verstand zurückgelassen. Aber geblieben war auch noch eine spürbare Furcht; nicht vor ihm, dem Polizisten, sondern davor, mit Worten etwas von dem zu verraten, was sich hinter der so kühl beherrschten Fassade verbarg.
    Brunetti entschloß sich, den Einwurf des Doktors als Frage zu verstehen, und so entgegnete er: »Ich habe mit Ihrer Frau gesprochen, Signore, und sie hat nicht ein bitteres Wort über Sie verloren.«
    »Hätten Sie das denn erwartet?«
    »Unter diesen Umständen, allerdings. Ich meine, es wäre doch verständlich, wenn sie jetzt mit Ihnen haderte, Ihnen zumindest eine Mitschuld am Tod Ihres Sohnes geben würde. Denn vermutlich waren Sie es doch, der ihn zum Eintritt in die Akademie bewogen hat.«
    Moro starrte ihn entgeistert an, öffnete den Mund, wie um etwas zu seiner Verteidigung vorzubringen, besann sich dann aber und schwieg. Doch seine Miene war so aufgewühlt, daß Brunetti scheu die Augen niederschlug.
    Als er wieder aufblickte, sah er in ein ausdrucksloses Gesicht.
    Brunetti wußte lange nichts zu sagen, bis er endlich ganz impulsiv und fast flehentlich an sein Gegenüber appellierte:
    »Ich möchte, daß Sie mir vertrauen, Dottore.«
    Nach einigem Schweigen antwortete Moro mit müder Stimme: »Und ich würde Ihnen gern vertrauen, Commissario. Aber es geht nicht.« Als er sah, daß Brunetti etwas einwenden wollte, fuhr er rasch fort: »Es liegt nicht an Ihnen, Sie sind gewiß ein ehrenwerter Mann, aber ich habe nun einmal gelernt, niemandem mehr zu trauen.« Wieder wollte Brunetti etwas sagen, und diesmal gebot Moro ihm mit erhobener Hand Einhalt. »Außerdem vertreten Sie in der Eigenschaft, in der Sie hier sind, einen Staat, den ich für kriminell und gewissenlos halte, was Ihnen mein Vertrauen ein für allemal verwehrt.«
    Im ersten Moment war Brunetti tief gekränkt und wollte sich verteidigen, aber in der Stille, die Moros Worten folgte, begriff er, daß die Kritik des Doktors sich nicht gegen ihn persönlich richtete: Verwerflich war in Moros Augen nur seine Rolle als Staatsdiener. Und Brunetti hatte zuviel Verständnis für diese Position, um dagegen aufzubegehren.
    Als der Commissario sich erhob, wirkte er erschöpft, und seine Bewegungen hatten rein gar nichts von jener markierten Entschlossenheit, mit der er das Gespräch bei Patta beendet hatte. »Wenn Sie Ihre Meinung ändern sollten und doch einmal mit mir reden wollen, Dottore, dann rufen Sie mich an, bitte.«
    »Gewiß«, sagte Signor Moro mit höflichem Desinteresse. Dann stand auch er auf, brachte Brunetti zur Tür und ließ ihn hinaus.

15
    A ls der Commissario auf die Straße trat und nach seinem telefonino griff, stellte er fest, daß er es entweder im Büro oder zu Hause in einer anderen Jacke vergessen hatte. Trotzdem widerstand er der verlockenden Einflüsterung, es lohne sich gar nicht, Signora Moro so spät am Nachmittag noch anzurufen, weil sie ohnehin nicht mit ihm reden würde. Zumindest widerstand er so lange, bis zwei Anläufe mit öffentlichen Fernsprechern fehlgeschlagen waren. Der erste, eine dieser neuen, aerodynamischen Chrominstallationen, welche die häßlichen, aber verläßlichen orangeroten Monster von früher abgelöst hatten, wollte seine Telefonkarte nicht annehmen, und beim zweiten ertönte jedesmal, wenn er die Nummer wählte, statt des Freizeichens ein undefinierbares Tuten. Entnervt riß er die Karte aus dem Schlitz, schob sie zurück in die Brieftasche und machte sich guten Gewissens (er hatte es zumindest versucht) auf, die wenige noch verbleibende Arbeitszeit in der Questura zu verbringen.
    Auf dem traghetto, das zwischen dem Anleger an der Salute und San Marco verkehrte, richteten seine venezianischen Kniegelenke sich wie von selbst auf die ruckhaften Schaukelbewegungen ein, die im Wechselspiel zwischen den Ruderschlägen der gondolieri und der Strömung aus der Lagune entstanden. Während sie gemächlich den Canal Grande durchquerten, ließ Brunetti seine Blicke schweifen und stellte erschrocken fest, daß die Sinne mit den Jahren offenbar

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