Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
was er damit anfangen solle.
    Dann hob er den Kopf und sah Brunetti. In seinem Gesicht regte sich nichts, trotzdem war Brunetti sicher, daß Moro ihn erkannt hatte.
    Er trat dem Mann in den Weg. »Wollen Sie tatenlos zusehen, wie die auch noch Ihre Frau und Ihre Tochter umbringen?« entfuhr es ihm, und er war selbst erschrocken über den geballten Zorn in seiner Stimme.
    Moro wich einen Schritt zurück, und die Schlüssel fielen ihm aus der Hand, als er den Arm hochriß und sich vors Gesicht hielt, wie um seine Augen vor Brunettis ätzenden Worten zu schützen. Doch schon im nächsten Augenblick sprang er mit unerwarteter Behendigkeit auf Brunetti zu und packte ihn mit beiden Händen am Kragen. Da er sich aber mit der Entfernung verschätzt hatte, gruben sich seine Fingernägel in Brunettis Nacken.
    Er riß und zerrte so heftig an seinem Opfer, daß er den Commissario eine halbe Schrittlänge vorwärts zwang. Brunetti breitete die Arme aus, um das Gleichgewicht zu halten, aber eigentlich war es Moros kräftiger Griff, der ihn vor einem Sturz bewahrte.
    Der Doktor zog ihn noch dichter an sich und schüttelte ihn, wie ein Hund eine Ratte beutelt. »Halten Sie sich da raus«, zischte Moro so dicht vor ihm, daß sein Speichel Brunettis Gesicht netzte. »Das waren nicht die. Und überhaupt, was wissen Sie schon davon?«
    Von Moro gestützt, fand Brunetti wieder Halt, und als der Doktor ihn auf Armeslänge von sich schob, wich er noch einen Schritt zurück, warf die Arme hoch und befreite sich vollends aus Moros eisernem Griff. Unwillkürlich führte er die Hand in den Nacken: Seine Finger ertasteten abgeschürfte Haut und einen ersten brennenden Schmerz.
    Er beugte sich vor, bis sein Gesicht dem des Doktors wieder gefährlich nahe kam. »Sie werden sie finden. Ihre Mutter haben sie ja auch gefunden. Wollen Sie denn warten, bis die Ihre ganze Familie ausrotten?«
    Wieder parierte der Doktor Brunettis Worte mit einer abwehrenden Handbewegung, nur daß er diesmal gleichsam roboterhaft auch die andere Hand hob, wie ein Blinder, der, in die Enge getrieben, nach einem Schlupfloch tastet. Dann wandte er sich ab und stolperte steifbeinig auf seine Haustür zu. Kraftlos an die Mauer gelehnt, begann er seine Taschen nach den Schlüsseln abzuklopfen, die ein Stück weit entfernt am Boden lagen. Moro grub die Hände in die Taschen, kehrte sie um und verstreute Münzen und Papierschnipsel auf dem Pflaster. Als es keine Tasche mehr auszuleeren gab, ließ er den Kopf auf die Brust sinken und brach in Schluchzen aus.
    Brunetti bückte sich und hob die Schlüssel auf, trat zu dem Doktor und ergriff seine schlaff herunterhängende Rechte. Er drehte die Handfläche nach oben, legte die Schlüssel hinein und schloß Moros willenlose Finger darüber.
    Unbeholfen, wie ein seit langem Rheumakranker, stieß Moro sich von der Mauer ab und steckte erst einen, dann noch einen und danach einen dritten Schlüssel ins Schloß, bis er endlich den richtigen gefunden hatte, der sich viermal knarzend im Schloß drehte. Dann drückte Moro die Tür auf und verschwand im Hausflur. Ohne abzuwarten, bis drinnen das Licht anging, machte Brunetti kehrt und trat den Heimweg an.

20
    D er Regen, der eintönig gegen die Fenster trommelte, weckte Brunetti am nächsten Morgen, und schlaftrunken stellte er fest, daß Paola nicht mehr neben ihm lag. Er fand sie nirgendwo in der Wohnung, und auch die Kinder waren ausgeflogen. Ein Blick zur Uhr erklärte, warum: Alle gingen längst ihren Tagesgeschäften nach. Als er in die Küche kam, sah er dankbar, daß Paola die Espressomaschine gefüllt und auf den Herd gestellt hatte. Während der Kaffee durchlief, starrte Brunetti blicklos aus dem Fenster, und als er fertig war, nahm er seine Tasse mit ins Wohnzimmer, wo er durch den Regen nach dem Glockenturm von San Polo spähte und im Stehen seinen Kaffee trank. Als er ausgetrunken hatte, ging er in die Küche zurück und brühte frischen. Diesmal setzte er sich mit der Tasse aufs Sofa, legte die Füße samt Pantoffeln auf den Tisch und starrte durch die Glastür auf die Terrasse hinaus, ohne die Dächer dahinter wahrzunehmen.
    Er zerbrach sich den Kopf darüber, wer »die« sein könnten. Letzte Nacht hatte er Moro dermaßen überrumpelt, daß der gar keinen Versuch machte, zu leugnen oder so zu tun, als ob er Brunettis Frage nach seinen namenlosen Gegnern nicht verstünde. Die erste Möglichkeit, die Brunetti einfiel und auf die vermutlich jeder gekommen wäre, der nur

Weitere Kostenlose Bücher