Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle
Admiral dachte nicht daran, auch nur eine seiner Parolen zurückzunehmen. Die seriösen Zeitungen (falls von solchen in Italien überhaupt die Rede sein konnte) verloren alsbald das Interesse an der Geschichte, und der Fall Ruffo verschwand in jenen Magazinen, deren Titelbilder sich Woche für Woche möglichst freizügig mit der weiblichen Anatomie beschäftigten.
Angesichts der Prominenz des Admirals grenzte es fast an ein Wunder, daß der Selbstmord seines Sohnes nicht in einem gigantischen Medienrummel ausgeschlachtet wurde, aber Brunetti konnte sich in der Tat an keine einzige Schlagzeile erinnern. »Wie war es nur möglich, so etwas geheimzuhalten?« fragte er.
»In Sardinien, auf dem Marinestützpunkt, hatte er das unumschränkte Kommando«, begann sie.
»Sie meinen den Admiral?« unterbrach Brunetti.
»Ja. Und weil sich alles dort abspielte, konnte man die Presse heraushalten.«
»Und wie lautete die offizielle Version?« fragte Brunetti, der wußte, daß in einem so streng abgeriegelten Umfeld fast jede Manipulation möglich war.
»Daß mein Schwager bei einem Unfall ums Leben gekommen sei, den Luigina nur schwerverletzt überlebte.«
»Und der Admiral ist damit durchgekommen?« Brunetti war selbst überrascht, wie er so naiv sein konnte, das anzuzweifeln.
»Natürlich. Die Marinepolizei hat ermittelt, ein Marinearzt übernahm die Obduktion. Luiginas Verletzung war nicht einmal schlimm, nur ein Streifschuß am Arm. Aber sie war unglücklich gestürzt und mit dem Kopf aufgeschlagen. Und das hat bleibende Schäden verursacht.«
»Warum erzählen Sie mir das?« fragte Brunetti.
»Weil Giuliano nicht weiß, was wirklich geschehen ist.«
»Wo war er? Ich meine, als es passierte?«
»Auch dort im Haus, aber in einem anderen Flügel, bei seinen Großeltern.«
»Und niemand hat ihm je die Wahrheit gesagt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Wenigstens bis jetzt nicht.«
»Warum sagen Sie das?« fragte er, durch die plötzliche Unsicherheit in ihrer Stimme hellhörig geworden.
Sie hob die Hand und rieb sich die Schläfe, knapp am Haaransatz vorbei. »Ich weiß selber nicht. Aber als er diesmal nach Hause kam, hat er mich danach gefragt, und ich fürchte, ich habe nicht gut reagiert. Statt einfach zu wiederholen, was wir ihm immer erzählt haben, fragte ich ihn, warum er das wissen wolle.« Sie verstummte und schlug die Augen nieder. Ihre Finger strichen immer noch rastlos an der Schläfe entlang.
»Und?« forschte Brunetti.
»Und als er keine Antwort gab, sagte ich, er wisse doch längst, was passiert sei. Daß sein Vater bei einem schrecklichen Unfall ums Leben kam.« Wieder hielt sie inne.
»Hat er Ihnen geglaubt?«
Sie wischte die Frage beiseite wie ein mutwilliges Kind, das sich weigert, auf ein unangenehmes Thema einzugehen.
Brunetti wartete schweigend, bis sie endlich zu ihm aufblickte und sagte: »Ich weiß es nicht. Als er jünger war, hat er immerzu davon gesprochen. Es war fast wie ein Fieber, das stieg und stieg, bis er nicht mehr anders konnte, als mich immer wieder danach zu fragen, egal, wie oft ich es ihm schon erzählt hatte. Und dann gab er eine Weile Ruhe, aber alsbald fing es wieder von vorne an, und er fragte so lange nach seinem Vater und seinem Großvater, bis mir nichts mehr einfiel, und am Schluß wollte er immer wissen, wie sein Vater gestorben war.« Sie schloß die Augen und ließ die Arme sinken. »Und ich erzählte ihm immer die gleichen Lügen. Bis ich sie nicht mehr hören konnte.«
Tiziana wandte sich ab und ging nun zielstrebig voraus ins Innere des Hauses. Brunetti folgte ihr, wagte aber noch eine letzte Frage: »Kam er Ihnen diesmal verändert vor?«
Sie blieb nicht stehen, bedeutete ihm jedoch mit einem raschen Heben und Senken der Schultern, daß die Frage nicht zu beantworten sei. Noch ein paar Schritte, dann machte sie, ohne sich nach ihm umzuwenden, vor einer Tür halt. »Früher hat es ihn immer für ein Weilchen beruhigt, wenn ich ihm von dem angeblichen Unfall erzählte, aber diesmal nicht. Er hat mir nicht geglaubt. Er glaubt mir nicht mehr.« Sie sagte nicht, wie sie darauf kam, und Brunetti hielt es nicht für nötig, danach zu fragen: Der Junge selbst würde dafür die weitaus verläßlichere Quelle sein.
Tiziana öffnete die Flurtür, die wieder auf einen langen Gang führte, blieb dort vor der zweiten Türe rechts stehen und klopfte. Fast sofort wurde von innen geöffnet, und Giuliano Ruffo trat auf den Flur heraus. Er lächelte seine
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