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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Tante an, doch als er Brunetti erkannte, verschwand das Lächeln, flackerte noch einmal zaghaft auf und erlosch endlich ganz.
    »Zia«, fragte er seine Tante, »was ist passiert?« Und als sie nicht antwortete, wandte er sich an Brunetti. »Sie sind doch der Polizist, der bei mir im Zimmer war.« Brunetti nickte, worauf der Junge fragte: »Und was wollen Sie jetzt von mir?«
    »Das gleiche wie beim letzten Mal: mich mit dir über Ernesto Moro unterhalten.«
    »Und wieso?« fragte Giuliano gefaßter, als Brunetti es von einem Jungen erwartet hätte, den die Polizei bis nach Hause verfolgte, um ihn wegen eines toten Kameraden zu verhören. Plötzlich wurde ihm bewußt, in was für einer peinlichen Situation sie sich befanden: drei Menschen in einem ungeheizten Korridor, von denen die Frau stumm zusah, wie er und der Junge sich mit ihren Fragen umkreisten. Als ob sie seine Gedanken erraten hätte, deutete Tiziana auf das Zimmer hinter ihrem Neffen und sagte: »Wollen wir uns nicht im Warmen weiter unterhalten?«
    Wenn es ein Befehl gewesen wäre, hätte der Junge nicht schneller reagieren können. Er ging sofort hinein und ließ die Tür für die beiden Erwachsenen offen. Als Brunetti eintrat, mußte er an Giulianos Zimmer in der Akademie denken, das so makellos aufgeräumt gewesen war. Dieses hier war das genaue Gegenteil: Kleidungsstücke lagen achtlos auf dem Bett und auf der Heizung verstreut; auf dem Schreibtisch stapelten sich hüllenlose CDs; Schuhe und Stiefel kugelten auf dem Boden herum. Trotzdem war Brunetti eigentlich nur überrascht, daß es nicht nach Rauch roch, obwohl ein angebrochenes Päckchen Zigaretten auf dem Schreibtisch lag und ein zweites auf dem Nachttisch.
    Giuliano räumte einen Sessel vor dem Fenster frei und bot ihn seiner Tante an. Den Armvoll Kleider warf er achtlos ans Fußende des Bettes, über eine Jeans. Brunetti bedeutete er mit einem Kopfnicken, daß er auf seinem Schreibtischstuhl Platz nehmen könne. Er selbst ließ sich zwischen zwei Kleiderhaufen auf dem Bett nieder.
    »Giuliano«, begann Brunetti, »ich weiß nicht, was man dir eingeredet hat oder was du in der Zeitung gelesen hast, und es ist mir auch gleich, was du den anderen erzählst. Ich glaube jedenfalls nicht, daß Ernesto sich umgebracht hat. Nach unseren Erkenntnissen war er nicht suizidgefährdet, und außerdem hatte er keinen Grund, sich das Leben zu nehmen.« Er hielt inne und wartete darauf, daß der Junge oder seine Tante etwas sagen würden.
    Als beide schwiegen, fuhr er fort: »Das heißt, es war entweder ein Unfall oder Mord.«
    »Was meinen Sie mit Unfall?« fragte Giuliano.
    »Einen dummen Streich, der ein böses Ende nahm und der entweder von ihm ausging oder den andere ihm gespielt haben. In dem Fall könnte ich mir gut vorstellen, daß die Beteiligten vor lauter Angst auf die Idee kamen, einen Selbstmord vorzutäuschen.« Wieder hielt er inne, in der Hoffnung, von dem Jungen eine Bestätigung zu bekommen, aber Giuliano blieb stumm.
    »Oder aber«, fuhr Brunetti fort, »man hat ihn getötet. Entweder absichtlich oder wiederum weil irgend etwas nicht nach Plan lief oder außer Kontrolle geriet. Und um die Tat zu vertuschen, ließ man es wie Selbstmord aussehen.«
    »Aber in der Zeitung stand doch, daß es Selbstmord war«, unterbrach Tiziana.
    »Das besagt gar nichts, zia«, meinte der Junge zu Brunettis Überraschung.
    Und in das nachfolgende Schweigen hinein sagte Brunetti: »Ich fürchte, er hat recht, Signora.«
    Der Junge stützte sich mit beiden Händen auf den Bettrand und ließ den Kopf hängen, als wolle er die Schuhe und Stiefel zählen, die auf dem Boden verstreut lagen. Brunetti sah, wie seine Hände sich zu Fäusten ballten und wieder öffneten. Dann blickte er auf und griff rasch nach den Zigaretten, die neben ihm auf dem Nachttisch lagen. Er hielt das Päckchen in der Rechten wie einen Talisman oder die Hand eines Freundes, machte aber keine Anstalten, sich eine Zigarette zu nehmen. Erst als das Päckchen von der rechten in die linke Hand gewandert war, schüttelte er eine heraus, stand auf, warf die Packung aufs Bett und trat zu Brunetti, der regungslos sitzen blieb, an den Schreibtisch.
    Giuliano schnappte sich das Plastikfeuerzeug und ging zur Tür. Ohne ein Wort zu sagen, verließ er das Zimmer und machte die Tür hinter sich zu.
    Seine Tante erklärte: »Ich habe ihn gebeten, im Haus nicht zu rauchen.«
    »Mögen Sie den Geruch nicht?« fragte Brunetti.
    Sie zog ein zerbeultes

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