Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle
hatte Angst.« Und Brunetti wußte wohl, wieviel Mut ihn dieses Eingeständnis kostete.
»Und seitdem?«
Wieder schüttelte Giuliano den Kopf. »Ich weiß nicht. Ich habe mich krank gemeldet und bin die meiste Zeit auf meinem Zimmer geblieben. Die einzigen, mit denen ich gesprochen habe, waren Sie und der andere Polizist, der nette, der in die Bar kam.«
»Und warum bist du fort aus San Martino?«
»Einer aus Filippis Clique sah mich mit dem Polizisten reden, und er erinnerte sich, daß es derselbe war, der gleich nach Moros Tod alle vernommen hatte. Und dann kam Filippi zu mir und sagte, wenn ich weiter mit der Polizei verkehrte, solle ich mich in acht nehmen ...« Hier versagte ihm die Stimme, und er mußte Atem schöpfen. »So eine Freundschaft könne einen in den Selbstmord treiben. Und dabei hat er ganz schauerlich gelacht.« Giuliano machte eine Pause, um zu sehen, wie Brunetti das aufnehmen würde, dann schloß er: »Da bin ich dann weg. Bin einfach abgehauen und nach Hause gefahren.«
»Und du gehst auch nicht zurück«, warf seine Tante so heftig ein, daß beide zusammenfuhren. Sie sprang auf, machte zwei Schritte auf ihren Neffen zu, blieb stehen und sah mit flehendem Blick zu Brunetti hinüber. »Schluß damit. Bitte, es muß endlich ein Ende haben.«
»Gut«, sagte Brunetti und erhob sich ebenfalls. Einen Moment lang überlegte er, ob er dem Jungen sagen solle, daß er seine Aussage vor Gericht wiederholen müsse, aber das war nicht der rechte Zeitpunkt dafür, vor allem nicht in Gegenwart der Tante. Er hatte keinen Einfluß darauf, ob die Ruffos künftig leugnen würden, daß dieses Gespräch stattgefunden hatte, oder ob sie dazu standen. Aber wie auch immer sie sich entschieden: Mit dem, was er jetzt und hier erfahren hatte, würde er schon ein großes Stück weiterkommen.
Als die drei wieder nach vorn zur Hofseite gingen, hörte Brunetti schon von weitem Vianellos tiefen, beruhigenden Baß und dazwischen eine fröhlich trällernde Frauenstimme. Und als sie in der Diele zusammentrafen und er Giulianos Mutter ansah, da blickte er in ein Gesicht, das vor Freude leuchtete. Vianello stand mit einem Korb voll brauner Eier neben ihr, und Giulianos Mutter deutete auf ihn und sagte: »Freund.«
24
A uf der Rückfahrt nach Venedig erklärte Brunetti, daß sie zwar jetzt genug in der Hand hätten, um den jungen Filippi vorzuladen, er aber doch lieber erst noch mehr Beweise gegen den Vater sammeln wolle.
Vianello überraschte ihn mit dem Angebot, am nächsten Tag ein paar Stunden im Internet zu recherchieren. Obwohl die Formulierung verdächtig nach Signorina Elettra klang, verzichtete Brunetti auf jeden ironischen Vergleich und wünschte sich nur insgeheim, daß doch endlich auch einmal jemand anders, jemand, dem er nicht schon bis in alle Ewigkeit verpflichtet war, imstande wäre, vertrauliche Informationen zu beschaffen.
»Und wie wollen Sie vorgehen?« fragte er.
Ohne den Blick von der Straße abzuwenden, auf der sich der Feierabendverkehr in Richtung Venedig staute, antwortete Vianello: »Genauso wie Signorina Elettra. Erst sehen, wieviel ich selber rausfinden kann, und dann meine Freunde einspannen.«
»Und sind das die gleichen Freunde wie die von Signorina Elettra?« fragte Brunetti.
Hier erlaubte Vianello sich doch einen raschen Seitenblick in Brunettis Richtung. »Mag sein, ja.«
Brunetti gab sich geschlagen. »Dann ginge es vielleicht schneller, wenn wir gleich Signorina Elettra fragen.«
Schon am nächsten Morgen fand er sich in ihrem Büro ein und erkundigte sich, ob ihr Freund vom Militärarchiv aus Livorno zurück sei und ihnen, wenn ja, einen Blick in seine Akten gestatten würde. Als ob sie schon beim Aufstehen gewußt hätte, daß sie es an dem Tag mit dem Militär zu tun bekommen würde, trug Signorina Elettra einen dunkelblauen Sweater mit schmalen, aufgeknöpften Schulterriegeln, die nicht nur entfernt an Epauletten erinnerten.
»Sie tragen nicht zufällig auch noch ein Schwert bei sich, oder?« fragte Brunetti.
»Nein, Signore. Das wäre mir im Büro zu unbequem.«
Lächelnd hämmerte sie mit flinken Fingern auf die Tastatur ein, hielt einen Moment inne und sagte dann mit einem zufriedenen Blick auf den Bildschirm: »Mein Freund wird sich gleich dranmachen.«
Brunetti bedankte sich und ging hinauf in sein Büro. Er las zwei Zeitungen, während er auf sie wartete, und nannte das Arbeit. Dann erledigte er ein paar Anrufe, die nur dazu dienten, die guten Beziehungen zu Leuten
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