Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
...«
Hier unterbrach ihn Signorina Elettra. »Halten Sie es für möglich, Commissario, daß es vielleicht doch die Frau gewesen ist?«
Vianello blickte ihn ebenso gespannt an, doch Brunetti schüttelte den Kopf: »Wenn Sie die Fotos von Signora Battestinis Leiche gesehen haben, dann wissen Sie, wie brutal der Mörder zugeschlagen hat.« Und ihr Schweigen als Zustimmung wertend, fuhr er fort: »Abgesehen davon, daß ich das einer Frau nicht zutrauen würde, sehe ich keinen Grund, warum Signora Ghiorghiu noch einmal hätte umkehren und ihre Arbeitgeberin kaltblütig erschlagen sollen. Sie hatte reichlich Geld, eine Fahrkarte nach Hause, und sie war bereits am Bahnhof. Im übrigen hatte sie sich nach Signora Gismondis Eindruck inzwischen auch wieder einigermaßen beruhigt. Und sie wollte nur eins: nach Hause. Außerdem, wenn sie die alte Frau getötet hätte, dann sicher nicht auf diese Art. Da war blinde Wut am Werk, keine Berechnung.«
»Oder Berechnung als Wut getarnt«, warf Vianello ein.
Das eröffnete Perspektiven auf ein Ausmaß an Heimtücke und Niedertracht, dem Brunetti erst gar nicht weiter nachspüren mochte. Trotzdem nickte er widerstrebend. Doch statt über Eventualitäten zu spekulieren, hielt er sich lieber an die Tatsachen. »Morgen«, sagte er zu Signorina Elettra, »morgen rede ich mit ihrer Anwältin und mit den Angehörigen.« Und an Vianello gewandt: »Ich möchte, daß Sie sich noch einmal in der Nachbarschaft umhören, ob jemand am Mordtag irgend etwas gesehen oder beobachtet hat.« »Dienstlich, Commissario?« fragte Vianello.
Brunetti seufzte. »Besser wäre es wohl, wenn Sie Ihre Fragen ganz ungezwungen stellen, falls so was möglich ist.«
»Ich werde Nadia fragen, ob sie dort jemanden kennt«, versetzte Vianello. »Vielleicht gehen wir auch auf ein Glas Wein oder zum Essen in das neue Lokal an der Ecke beim Campo dei Mori.«
Brunetti grinste beifällig zu Vianellos Plan; dann wandte er sich an Signorina Elettra mit der Bitte: »Was ich noch gern wüßte, ist, ob sie bei uns aktenkundig war.«
»Wer? Die Rumänin?«
»Nein. Signora Battestini.«
»Achtzigjährige Schwerverbrecher!« Sie kicherte. »Wie gern würde ich so jemanden entlarven.«
Brunetti nannte einen ehemaligen Premierminister und schlug vor, sie solle einmal dessen Akten durchforsten.
Vianello lachte lauthals, und sie lächelte verbindlich.
»Und wenn Sie schon dabei sind, überprüfen Sie auch gleich den toten Ehemann und den verstorbenen Sohn«, kehrte Brunetti zur Tagesordnung zurück.
»Soll ich auch einen Blick auf die Anwältin werfen?«
»Ja.«
»Auf Advokaten Jagd zu machen, finde ich herrlich«, gestand Signorina Elettra. »Die bilden sich ein, sie verstünden sich wer weiß wie gut darauf, Spuren zu verwischen. Dabei ist es so leicht, ihre Verstecke aufzuspüren. Fast zu leicht.«
»Würden Sie ihnen lieber eine faire Chance einräumen?« erkundigte sich Vianello.
Die Frage brachte sie wieder zur Vernunft. »Fairneß gegenüber einem Advokaten? Halten Sie mich für verrückt?«
9
D er noch etliche Zeugenaussagen in dem Flughafenfall auszuwerten hatte und weil ihm Gespräche mit Anwälten nicht besonders lagen, begnügte Brunetti sich mit einem Anruf in Avvocatessa Marieschis Kanzlei, wo er einen Termin für den kommenden Morgen vereinbarte. Auf die Frage der Sekretärin nach seinem Anliegen antwortete er nur, es handle sich um die Klärung eines Erbschaftsanspruches. Daß er bei der Polizei war, verschwieg er wohlweislich, als sie ihn um seine Personalien bat.
Eine geschlagene Stunde kämpfte er sich durch widersprüchliche und wechselseitig unvereinbare Aussagen. Da zum Glück jedem Protokoll ein kleines Foto beigeheftet war, konnte er immerhin die vernommenen Zeugen mit den Personen identifizieren, die er auf den Videos der Überwachungskameras in der Gepäckhalle am Flughafen gesehen hatte. Soweit er es überblickte, sagten von den sechsundsiebzig Festgenommenen lediglich zwölf die ganze Wahrheit, denn nur deren Aussage deckte sich mit dem Videomaterial, das Brunetti in der letzten Woche gesichtet hatte und auf dem alle Angeklagten bei irgendwelchen Diebereien ertappt und gefilmt worden waren.
Allein es lohnte sich kaum, viel Zeit in die Ermittlungen zu investieren, zumal die Verteidigung gegen die Videodokumentation als Beweismittel protestierte, mit der Begründung, die Kameras seien ohne Wissen der Beklagten installiert worden und mithin eine widerrechtliche Verletzung von deren privacy:
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