Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
dann doch noch eine Frage. »Hat Signora Battestini in Ihrer Gegenwart einmal Besuch empfangen?«
»Nein, nicht daß ich wüßte.« Carlotti blieb nachdenklich stehen. »Telefonate kamen, wie ich schon sagte, hin und wieder, aber sie hat die Leute immer abgewimmelt: Sie hätte jetzt keine Zeit, und man solle später anrufen.«
»Erinnern Sie sich, ob sie am Telefon Veneziano sprach, Dottore?«
»Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen«, antwortete Carlotti. »Aber wahrscheinlich schon. Ihr Hochitalienisch hatte sie nämlich fast verlernt. Ich zumindest«, setzte er einschränkend hinzu, »habe es sie nie sprechen hören. Übrigens keine Seltenheit in dem Alter.« Abermals führte er die Hand an den Kopf. »Einmal, das dürfte jetzt etwa drei Jahre her sein, telefonierte sie, als ich hereinkam. Ich hatte damals schon einen Schlüssel, wissen Sie, für den Fall, daß sie die Klingel nicht hörte. An dem Tag dröhnte der Fernseher bis auf die Straße heraus, es wäre sinnlos gewesen zu läuten. Doch als ich nach oben kam und die Wohnungstür aufschloß, war der Ton leiser gestellt, und statt dessen hörte ich sie telefonieren. Der Anruf muß gekommen sein, während ich im Treppenhaus war.« Er hielt kurz inne und fuhr dann fort: »Ich nahm an, daß jemand bei ihr angerufen hatte und nicht umgekehrt, weil sie sich dauernd über die viel zu hohen Gebühren beschwerte. Aber wie dem auch sei, sie hatte jedenfalls den Fernseher leiser gestellt und telefonierte.«
Brunetti wartete schweigend, ließ den Arzt ungestört von Zeit und Raum in die Erinnerung eintauchen.
»Sie sagte so etwas wie: ›Ich habe darauf gehofft, von Ihnen zu hören‹, aber ihre Stimme klang ... ach, ich weiß nicht ... grausam oder sarkastisch oder wie eine Mischung aus beidem. Und als sie das Gespräch beendete, gebrauchte sie zum Abschied einen Titel. Ich weiß nicht mehr genau, welchen - Dottore vielleicht oder Professore, auf jeden Fall etwas Akademisches, wo man erwartet hätte, daß sie dem Angesprochenen Respekt bezeugte, doch bei ihr klang es im Gegenteil richtig abfällig.« Brunetti beobachtete den Arzt und sah, wie seine Erinnerung immer deutlicher wiederkehrte. »Ja, sie nannte ihn Dottore, aber sie sprach Veneziano. Da bin ich mir sicher.«
Als Carlotti geendet hatte, fragte Brunetti: »Und haben Sie die Signora auf dieses Telefonat angesprochen?«
»Nein, nein. Wissen Sie, das war ein ganz eigenartiger Moment. Ich weiß selbst nicht, woran es lag, vielleicht an ihrer höhnischen Stimme, vielleicht war es auch bloß so ein Gefühl, jedenfalls traute ich mich zunächst gar nicht hinein. Die Situation war mir so wenig geheuer, daß ich die Tür wieder zuzog und dann absichtlich geräuschvoll mit dem Schlüssel hantierte, als ich ein zweites Mal aufschloß. Diesmal rief ich ihren Namen und fragte, ob sie da sei, bevor ich hineinging.«
»Haben Sie denn aus der Rückschau eine Erklärung für Ihr Verhalten?« fragte Brunetti, den diese heftige Reaktion bei einem allem Anschein nach so praktisch denkenden Menschen doch einigermaßen verwunderte.
Der Arzt schüttelte den Kopf. »Nein. Nur die Art, wie sie sprach, war mir irgendwie unheimlich. Als wäre ich mit etwas ... Bösem in Berührung gekommen.«
Das Kindergebrüll nebenan war unterdessen immer lauter geworden. Dottor Carlotti öffnete die Tür zum Wartezimmer, steckte den Kopf durch den Spalt und sagte: »Signora Ciapparelli, Sie können Piero jetzt hereinbringen.«
Dann trat er beiseite, um Brunetti vorbeizulassen, und schüttelte ihm die Hand. Als der Commissario zum Ausgang gelangte, war die Tür zum Sprechzimmer schon wieder geschlossen, und das Kind hatte aufgehört zu weinen.
13
W ieder in der Questura, wählte Brunetti erneut die Nummer von Signorina Simionato, doch auch diesmal meldete sich niemand. Was ihm Kopfzerbrechen machte, war das Geld auf den vier Konten. Nicht etwa die hohe Summe, die dabei zusammenkam: Viele Leute in scheinbar bescheidenen Verhältnissen schafften es, durch immerwährende Knauserei im Laufe eines langen Lebens ein heimliches Vermögen anzuhäufen: Lira um Lira sparten sie sich durch ständigen Verzicht und Entbehrung ein stattliches Erbe für ihre Angehörigen oder die heilige Mutter Kirche zusammen. Vermutlich rechneten sie mit jedem Centissimo und versagten sich alles, was nicht unbedingt lebensnotwendig war. Sie gönnten sich kein Vergnügen, unterdrückten alle Wünsche, indes das Leben an ihnen vorbeiging. Es sei denn, sie fanden ihr
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